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Kritik – Herbert Blomstedt dirigiert in Salzburg Mahlers Neunte Die Stille danach

Mahler ist nicht der Lieblingskomponist von Herbert Blomstedt. Berühmt ist der wohl älteste aktive Dirigent (er feierte vor kurzem seinen 92. Geburtstag) vor allem als Bruckner-Interpret. Doch vor kurzem legte Blomstedt Mahlers Neunte auf CD vor. Und gestern Abend dirigierte er das große Weltabschieds-Werk mit den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen. Ein nachhaltig berührendes Konzertereignis - findet Kritiker Bernhard Neuhoff.

Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2019. | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

Bildquelle: © SF/Marco Borrelli

"Wild", "heftig dreinfahrend", "ersterbend": Was Mahler über seine Partituren schreibt, erzählt halbe Romane. Und bleibt doch weit hinter dem überwältigenden Erlebnis dieser Musik zurück. Mahlers Neunte mit Herbert Blomstedt war für mich persönlich der bisher stärkste Eindruck in diesem Festspiel-Sommer: Hier gibt es Oper und Drama, großes Kino und noch größere Gefühle – aber auch ein faszinierendes Netzwerk der Motive und Gedanken. Es geht um Leben und Tod, um die Schönheit der Natur, die letzten Dinge und den ganz banalen Trubel des Alltags. Und es geht um die Stille danach.

Blomstedt bleibt eine Minute regungslos

Die Stille danach war gestern Abend unbeschreiblich schön, weil darin ein ungewöhnlicher Konzertabend nachklang, ohne dass man für eine gefühlte Ewigkeit auch nur den kleinsten Muckser hörte. Nach dem buchstäblich im Nichts verhauchenden Pianissimo-Schluss, mit dem sich diese jenseitige Musik von der Welt verabschiedet, verharrte der großgewachsene 92-Jährige eine geschlagene Minute lang regungslos.

Und das hatte nichts Didaktisches oder Gezwungenes. Es war einfach nur eine Einladung, diese Stille gemeinsam zu genießen. Dass die 2179 Besucher im Großen Festspielhaus darauf eingingen, war zweifellos mehr als bloße Höflichkeit. Sonst hätte es früher oder später irgendein verlegenes oder genervtes Räuspern gegeben oder einen verirrten Klatscher. So etwas gelingt nur, wenn wirklich alle gepackt sind – Musiker und Publikum.

Viel packendes symphonisches Drama

Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2019. | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Herbert Blomstedt - mit Mahlers Neunter bei den Salzburger Festspielen 2019 | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Dabei dirigiert Blomstedt diese Musik vollkommen unsentimental. Sein Mahler kennt kein theatralisches Schluchzen. Sein Zugang ist sehr direkt und absolut geradlinig. Sozusagen die Antithese zu Leonard Bernsteins Ansatz, bei dem Mahler oft wie Filmmusik klingt. Bei Blomstedt gibt es keine Larmoyanz und wenig Schmäh, dafür viel packendes symphonisches Drama. Die Tempi sind rasch und pulsierend. Immer wieder schlägt Blomstedt ganze Takte mit großen Bewegungen. Mit seinen charakteristischen, weitausschwingenden Handkantenschlägen drängt er die Musiker gern ein wenig nach vorn.

Im ersten Satz hätte ich mir manchmal mehr ungläubiges Staunen gewünscht, mehr Raum für das Gefühl des Traumhaften und Unwirklichen. Grandios dagegen gelingen die folgenden Sätze: Der zweite, "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers", hat parodistischen Biss und kippt, ebenso wie die anschließende "Rondo-Burleske", immer wieder in bitteren Sarkasmus.

Ohne den geringsten Anflug von Sentimentalität

Im abschließenden Adagio setzt Blomstedt dann auf rückhaltlose Emphase: Ohne Stab formt er einen wunderbar intensiven Streicherklang – ohne den Musikern zu erlauben, sich selbstzufrieden darin zu baden. Immer wieder treibt er die weit gespannten Kantilenen nach vorn, öffnet er die Schleusen für die großen Gefühle in all ihrer Dringlichkeit. Und gerade deshalb ohne den geringsten Anflug von Sentimentalität.

Die Wiener Philharmoniker folgen ihm dabei mit hörbarer Spielfreude. Mag sein, dass im Eifer des Gefechts manchmal die Intonation leicht verrutscht (die Piccolo-Flöte hat es da auch nicht leicht…). Doch der goldene, runde Klang der Wiener Hörner macht geradezu süchtig. Und die Streicher finden in den immer leiser werdenden Schlusstakten zu wunderbar weltentrückten Klängen.

Ein 92-jähriger Dirigent stellt so manch jüngeren Kollegen in den Schatten

Schade eigentlich, dass Blomstedt sich nicht viel früher schon intensiver mit Mahler auseinandergesetzt hat. Neben der gerade erschienen Neunten mit den Bamberger Symphonikern liegen nur die Zweite, Vierte und Fünfte auf CD vor. Und ein Glück, dass er mit einer so unglaublichen Vitalität gesegnet ist, die ihn und uns mit einer so ungewöhnlichen Alterskarriere beschenkt.

Blomstedt ist beseelt von einer Energie und einem künstlerischen Tatendrang, der viele seiner weitaus jüngeren Kollegen in den Schatten stellt. Die großen Emotionen, die sich in der langen Stille nach dem letzten Ton aufspeichern, entladen sich schließlich in begeistertem Jubel und stehenden Ovationen.

Sendung: "Leporello" am 30. Juli 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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