Bildquelle: Marco Borggreve
Giacinto Scelsi leuchtete das Obertonspektrum des Einzeltons in geradezu obsessiver Weise aus: in mächtigen Klangstrom-Kompositionen, die im Raum schwanken, wie Plasma beben und Tiefe und Dicke zu haben scheinen. Seine bahnbrechenden "Quattro pezzi per orchestra" von 1959 beschränken sich auf jeweils nur einen einzigen Ton, der mit mikrotonalen Schwankungen, Oktavtranspositionen und Obertönen abschattiert wird: klingende Säulen von unterschiedlich zusammengesetzten Spektren in schillernder Intensität, voller Dramatik und Pathos, gemischt mit meditativer Ruhe.
Das Kreisen in einem akustischen Raum ist auch ein Merkmal vieler Werke von Nikolaus Brass, in denen die musikalischen Ereignisse in einer zirkulären Ordnung präsentiert werden. Der Premiere von Brass’ "In der Farbe von Erde" für Viola, 44 Streicher und zwei Schlagzeuger folgt die Uraufführung von Hans Thomallas "… the Brent geese fly in long low wavering lines ...", der in seinen Partituren zwanglos Avantgarde-Klänge, Minimal-Passagen und geräuschhafte Klangflächen aufeinandertreffen lässt. In dem rund halbstündigen Orchesterwerk spürt der in Chicago lebende Komponist den transitorischen Spuren der Zugvögel und ihrer unerschöpflichen Energie nach: mit Musik, die in ständiger Bewegung die Gesetze der Schwerkraft auszuhebeln scheint.