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Kritik – Menottis "Der Konsul" am Stadttheater Augsburg Ihr Name – eine Nummer

Laut den Vereinten Nationen waren Ende 2018 über 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Vor politischer Verfolgung zu fliehen ist kein neues Thema: Auch im Theater und der Oper gab es schon vor Jahrzehnten Stücke darüber. Eines davon ist "Der Konsul" von Gian Carlo Menotti, eine selten aufgeführte Oper aus dem Jahr 1950. Am 1. Februar hatte eine neue Inszenierung am Staatstheater Augsburg Premiere.

Sally du Randt, A-Reum Lee, Roman Poboinyi, Elene Khonelidze | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Die Kritik zum Anhören

John flüchtet. Er ist politisch verfolgt, ein Oppositioneller, die Geheimpolizei sucht ihn. Seine Frau, seine Mutter und sein Kind lässt er zurück – sie sollen beim Konsul ein Visum besorgen und ihm nachfolgen. Das kann doch nicht so schwer sein? Schließlich haben politisch Verfolgte Anspruch auf Asyl. Es ist aber schwer, Aktenordner-schwer, wenn die Bürokratie mit Bergen von Formularen im Weg steht. Darum geht es in "The Consul", so der Originaltitel der Oper.

Menotti schrieb Musik und Text

Musik und Libretto stammen von Gian Carlo Menotti. Der Italiener kam als junger Mann in die USA – und amerikanische Elemente sind in der Musik allenthalben spürbar: Gershwin klingt an, aber auch viel Kurt Weill. Menottis Text ist ein deutlicher Aufruf zur Flüchtlingshilfe und eine Satire auf das unbändige Monster Bürokratie, das die Leidenden gänzlich entmenschlicht. Menotti war damit erfolgreich, für "Der Konsul" gab es den Pulitzer Preis für Musik.

Meere vertrocknen und Sonnen verglühen, aber alle Dokumente müssen unterschrieben werden.
 Aus dem Libretto von 'The Consul'

Kalte Bürokratie und menschliche Verzweiflung

Natalya Boeva, Sally du Randt, Susanne Simenec, László Papp, Roman Poboinyi | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr "Der Konsul" in Augsburg – Szenenfoto | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Dass das Stück in Augsburg trotz englischen Textes unter dem deutschen Titel "Der Konsul" läuft, bedeutet: Diese Geschichte geht uns, im Europa des Jahres 2020, an. Regisseurin Antje Schupp zeigt ein Konsulat von heute, die in drei Ebenen gestaltete Bühne von Christoph Rufer greift das auf: vorne die Wohnung der Familie. Dahinter ist das klinisch-schlichte Konsulat durch blickdichte Lamellenvorhänge begrenzt. Vorhänge, wie sie tausendfach in den Wartezimmern Deutschlands hängen. Als die Vorhänge sich öffnen, geben sie den Blick auf die dritte Ebene frei: einen riesigen Stacheldrahtzaun, dahinter Zelte und Flüchtlinge und letzte Hoffnung in den Gesichtern. Diese Nähe von kalter Bürokratie und menschlicher Verzweiflung ist ein starkes Bild.

Die pure Absurdität der Paragraphenreiterei

Vor Realismus schreckt Schupp nicht zurück, manche Bilder sind nichts für schwache Mägen. Trotzdem gibt es immer wieder wahnsinnig komische Momente wie strippende Italiener und die pure Absurdität der Paragraphenreiterei, die die Wartenden immer wieder auf Morgen vertröstet, obwohl sie in Gefahr schweben. Zur bedrohlichen Lage sollen auch Videoeinspielungen beitragen, die Flucht und Folter zeigen. Das gelingt nicht immer glaubhaft, denn Opernsänger sind eben doch keine Hollywoodschauspieler.

Solistinnen überzeugen meistens

Sally du Randt als Magda Sorel | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Sally du Randt als Magda Sorel | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Sonst aber überzeugen die Solistinnen – die wichtigsten Figuren der Oper sind weiblich. Natalya Boeva singt die gesetzestreue Sekretärin, für die Namen nur Nummern sind, mit klarem Mezzosopran. Kate Allen als Mutter Sorel schafft mit ihrem Wiegenlied einen der schönsten musikalischen Momente. In der Hauptrolle spielt Sally du Randt eine von dieser kalten Welt abgestumpfte Magda Sorel, die zwischen die Mühlsteine der Bürokratie und Politik gerät. In der tiefen und mittleren Lage hat du Randt stimmliche Schwierigkeiten mit der anspruchsvollen Partie, ihre volle Kraft entfaltet sie, wenn sie in der Höhe singen darf.

Die Musik flirrt und kracht

Die Augsburger Philharmoniker unter Ivan Demidov kämpfen anfangs noch mit der Balance, das Regenprasseln auf dem Dach des Ausweichquartiers im Martini-Park macht es ihnen nicht einfacher. Dann aber grooven sie sich ein und machen überzeugende Werbung für die Musik Menottis: Sie untermalt die Gefühle der Figuren, sie flirrt, kracht, schwelgt, wird aber nie unangenehm pathetisch. Regisseurin Schupp greift das klug in ihrer Inszenierung auf: Die am Zaun rüttelnden Flüchtlinge werden zum Teil des Orchesters. Das Krachen hallt nach – so wie dieser Opernabend.

Sendung: "Allegro" am 03. Februar 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Der Konsul" in Augsburg

Informationen zu Terminen, Vorverkauf und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage des Stadtheaters Augsburg.

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