Ja, sie ist wie sie ist - unzähmbar! Ein Tier, wie sie selbst sagt, nicht zu bändigen. Die Muse von Saint-Germain-des-Prés, so der Titel einer ihrer Schallplatten, gilt als Skandal im Nachkriegs-Paris. Ihr ganzes langes Künstlerleben wird sie dieser Ruf begleiten. Und inzwischen, 90-jährig, hat sie sich längst damit arrangiert.
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Doch es gibt auch die andere Seite der Juliette Gréco - die nicht erwünschte Zweitgeborene, die bei ihrer Mutter vergebens um Liebe und Zuneigung bettelt, die schüchterne junge Frau, die kaum spricht, lieber beobachtet, alles um sich herum aufsaugt und verarbeitet. Früh beginnt sie, den Sinn der Worte in Ideen zu verwandeln, mit dem Körper auszudrücken. Juliette, schon früh die Pantomimin der Worte.
Aufgewachsen vor dem Krieg in einem großbürgerlichen Herrenhaus in Bordeaux, in der behüteten Obhut ihrer Großeltern, zeitweilig auch bei Nonnen, träumt Gréco nach dem Krieg davon, nach Paris zu gehen und Schauspielerin zu werden. Paris - die Sehnsuchtsstadt der Nachkriegszeit. Hier riecht es nach grenzenloser Freiheit, hier, am linken Seineufer, schlägt das Herz der Künstler, Philosophen und Intellektuellen. Hier sind sie alle: Von Jean-Paul Satre bis Serge Gainsbourg, von Camus bis Jacques Brel, von Jacques Prévert bis Miles Davis oder Charlie Parker. Und sie alle lassen sich von Juliettes Aura betören. Der Aura dieser kleinen Frau ganz in Schwarz gehüllt, mit den geliehenen schwarzen umgekrempelten Hosen und dem schwarzen Pulli. Der Mythos der Muse von Saint-Germain-des-Prés wird geboren - ihr Stil zum Symbol des Existentialismus.
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Juliette Gréco in Rom 1957
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Juliette Gréco: Die Wurzeln des Himmels 1958
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Juliette Gréco: Whirlpool, 1959
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Juliette Gréco 1960
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Juliette Gréco: Crack in the mirror 1960
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Juliette Gréco am Theater Edouard VII in Paris im Februar 1964.
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Juliette Gréco 1964
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Juliette Gréco um 1970
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Juliette Gréco um 1970
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Juliette Gréco 1980
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Juliette Gréco in Amsterdam am 20. September 2015.
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Grécos Universitäten in Paris heißen "Deux Magots" und das "Flore" - die beiden zentralen Kneipen der Stadt, der intellektuelle Treffpunkt im Nachkriegs-Paris schlechthin. Hier taucht sie, die sich als Gelegenheits-Schauspielerin anfangs ihr karges Einkommen verdient, Abend für Abend ein. Hier verleiht ihr Jean-Paul Sartre die künstlerischen Flügel, die sie zum Olymp tragen werden, und bald schon ins Pariser "Olympia"; bald darauf fliegt sie auf ihnen in die ganze Welt - bis heute. Sartre ist es, der die junge Schauspielerin zum Gesang verführt. Es ist die Geburt einer der größten Chanson-Interpretinnen des 20. Jahrhunderts. Daran haben auch ihre Ausflüge in den Film nichts geändert.
Juliette Grécos Aufstieg zur Ikone ist nicht mehr aufzuhalten. Die Gréco - unabhängig, angstfrei, politisch. Bis heute interpretiert, nein: lebt und durchlebt sie mit ihrer dunkel timbrierten Stimme jedes einzelne Chanson. Nie singt sie dabei eigene Texte, immer nur die Anderer: revolutionäre, provozierende, bissige, sinnliche, erotische, auch sexuell anzügliche. Aber immer taucht sie tief in die Geheimnisse der Texte ein, malt deren Bedeutungen mit ihren Händen in die Luft und verbirgt sich als Person vollkommen hinter dem Schwarz ihrer langen Etuikleider. Die Farbe schwarz: ihr Schutzwall, hinter dem das Innerste der Gréco, das kleine, verletzliche Kind Juliette, das sie bis heute geblieben ist, verschwindet. Nichts soll von den Worten ablenken - nichts und niemand in das Innerste der Gréco hineinschauen können.
Sie habe keine Angst vor dem Sterben, sagt sie in einem Interview im Jahr 2015 anlässlich einer ausgedehnten, umjubelten Abschiedstournee - nur davor, nicht mehr singen zu können. Wie arg muss es ihr sein, als sie im Januar dieses Jahres kurz vor ihrem 90. Geburtstag ein Konzert im Züricher Opernhaus aus gesundheitlichen Gründen ersatzlos absagen muss. Wie gern würde sie ihr magisches Schwarz erneut dem Publikum als Tafel gegeben, um darauf seine Wünsche und Träume zu schreiben...