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Kostprobe | 27.06.2021 Der Vorläufer des Streichquartetts

Es gibt Vorläufer des Streichquartetts vor Haydn und Boccherini. Das beweist mit seinen Sonate a quattro, die ausdrücklich ohne Cembalo gespielt werden sollen, Alessandro Scarlatti. Meisterlich interpretiert vom Quartett Les Récréations.

CD-Cover: Alessandro Scarlatti: Sonate a quattro | Bildquelle: © Ricercar

Bildquelle: © Ricercar

Fast zeitgleich haben Joseph Haydn in Wien und Luigi Boccherini in Mailand in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Streichquartett entwickelt und definiert. Zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello von homogenem Klang führen vier Sätze lang ein ausdrucksstarkes musikalisches Gespräch, bei dem jede Stimme gleichwertig agiert. Doch bereits 30 Jahre vorher schuf der berühmte Opernkomponist Alessandro Scarlatti mit seinen vier Sonate a quattro eine Vorform des Streichquartetts.

Ohne Cembalo

Scarlatti befreite das Cello aus seiner Generalbassfunktion und gab ihm eine gleichberechtigte Stimme. Auch die Bratsche wertete er von einer Füllstimme zu einer eigenständigen Mittelstimme auf. Und damit nur ja keine Unklarheiten aufkamen, ob es sich bei seinen Sonate a quattro nicht doch um Triosonaten mit Generalbassbegleitung handeln könnte, bei denen man das Cello durch ein Tasteninstrument ersetzen darf, schrieb Scarlatti über alle vier Quartette klar und deutlich senza Cembalo - ohne Cembalo.

Frappante Intonationssicherheit

Das französische Originalklangensemble Les Récréations hat Alessandro Scarlattis vier Streichquartettvorläufer jetzt eingespielt. Und was die vier Musikerinnen und Musiker, die seit über zehn Jahren zusammen musizieren, auf ihren Darmsaiten spielen, ist von atemberaubender Homogenität und frappanter Intonationssicherheit. Ebenso expressive wie intensive Streichquartettklänge werden hier präsentiert. Les Récréations lässt Scarlattis harmonischen Reichtum und seine überraschenden Klangfarben aufleuchten. Das Ganze durchweht von einer zarten Melancholie, egal ob in den fugenartigen langsameren Sätzen oder den etwas flotteren abschließenden Menuetten. Denn Scarlatti wählte für alle vier Sonate a quattro Molltonarten.

Ergänzt wird die CD durch zwei weitere Quartette von Scarlattis kleinem Bruder Francesco, der immer im Schatten Alessandros stand und nach England emigrierte. Recht ansprechende Werke, aber keine reinen Streichquartette, weshalb Les Récréations sich hier von einer Theorbe als basso continuo begleiten lässt. Jedoch ganz verzichten können hätte man für meinen Geschmack auf die wenigen Transkriptionen von Cembalostücken Alessandros und seines Sohnes Domenico Scarlatti. Die klingen zwar ganz angenehm, doch es fehlt ihnen die Authentizität der echten Streichquartettvorläufer. Insgesamt aber ein wirklch reizvolles Album auf hohem musikalischem Niveau. Hier ist erfüllt, was Goethe sich von einem Streichquartett wünschte, nämlich ein "geistvolles Gespräch unter vier vernünftigen Leuten".

Alessandro Scarlatti: Sonate a quattro

Alessandro Scarlatti
Les Récréations
Label: Ricercar

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 27. Juni 2021, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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