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Kostprobe | 20.06.2021 Bach für furchtlose Tastenlöwen

Vor allem Franz Liszt und Ferruccio Busoni haben Werke Johann Sebastian Bachs bearbeitet und zu brillanten Bravourstücken für Virtuosen gemacht. Der französische Pianist Emmanuel Despax zeigt sich auf seiner neuen CD mit Bach-Bearbeitungen als pianistischer Alleskönner – und überrascht mit bislang unbekannten Neuentdeckungen.

CD-Cover: Spira, spera | Bildquelle: © Signum

Bildquelle: © Signum

Spira, spera. Atme, hoffe. Das als Titel einer Bach-CD - kann man einen besseren wählen? Bachs Musik ist Atem, und sie schenkt Hoffnung selbst da, wo alles verloren scheint.

Spätromantischen Bach-Bearbeitungen

Emmanuel Despax spielt Bach. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auf dieser CD brilliert der junge französische Pianist mit spätromantischen Bach-Bearbeitungen - was eine völlig eigene Sache ist. Bearbeitungen waren zu Bachs Lebzeiten gang und gäbe. Er selbst hat eigene Kompositionen munter recycelt und für unterschiedliche Besetzungen eingerichtet. Was dann allerdings die Bearbeitungs-Werkstatt spätromantischer Klavier-Virtuosen verließ, das respektierte zwar meistens den Originaltext, hatte aber mit der Klangästhetik des Originals kaum noch etwas zu tun: Die Manege Franz Liszts oder Ferruccio Busonis war der Konzertsaal, ihr Hochtrapez ein klanggewaltiger Flügel, auf dem sie Bachs Vorlagen in Bravourstücke voller schwindelerregender Klavierakrobatik verwandelten.

Rauschhafte Klangentladungen

Emmanuel Despax ist ein Tastenzauberer, der offenbar über grenzenlose technische Fähigkeiten verfügt. Und die sind beispielsweise dann nötig, wenn die fließenden Sechzehntelketten eines Bachschen Choralvorspiels bei Ferruccio Busoni zu einem fast grotesken Perpetuum mobile werden. Doch nicht nur schnelle Finger hat Emmanuel Despax, sondern auch souveräne Kraft für rauschhafte Klangentladungen, mit denen beispielsweise die Solovioline in Bachs berühmter Chaconne von 1720 knapp 200 Jahre später zu einer Klavier-Donnermaschine wird.

Musik ist immer vor dem Hintergrund in ihrer jeweiligen Zeit zu verstehen. Angesichts dessen leistet Emmanuel Despax mit seiner Tour de force Großartiges. Schon allein die Ersteinspielung bislang unbekannter Bach-Bearbeitungen des ungarischen Pianisten und Komponisten Theodor Szántó machen diese CD verdienstvoll.

Spira, spera - atme, hoffe. Das kann auch heißen: Erst mal durchatmen nach diesem unglaublich bravourösen, aber auch ziemlich anstrengenden Virtuosen-Parcours. Und dann darauf hoffen, dass Emmanuel Despax auch einmal eine "richtige" Bach-CD wagt. Denn die wäre sicherlich hörenswert.

Spira, spera

Johann Sebastian Bach
Emmanuel Despax, Klavier
Label: Signum

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 20. Juni 2021, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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