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Gabriel Yared zum 70. Geburtstag Der Filmkomponist, der keine Bilder mag

"Der englische Patient", "Das Leben der Anderen", "Stadt der Engel" - oder "Betty Blue": Die meisten seiner genialen Soundtracks schrieb Gabriel Yared, ohne vorab etwas von den Filmen gesehen zu haben. Denn mit Bildern hat der Filmmusikkomponist nach eigenen Aussagen so seine Schwierigkeiten. Am 7. Oktober 2019 feiert der Oscar-Preisträger seinen 70. Geburtstag.

Gabriel Yared | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Problem, das Gabriel Yared mit Bildern hat, ähnelt nach eigenen Aussagen sogar der Epilepsie. So muss er beispielsweise bei temporeiche Szenen die Augen schließen, da sich sonst alles in seinem Kopf dreht. Bilder berühren ihn weit weniger als Worte: "Wenn mich ein Regisseur aufsucht und mir von seinem Film erzählt oder das Skript zu lesen gibt, fängt es in mir augenblicklich an zu singen. Wenn er mir hingegen die Bilder zeigt, ist es nicht das Gleiche", so der Filmmusikkomponist.

Seit meinem Debut mit Godard weiß ich, dass meine Arbeitsweise als Filmkomponist eine besondere ist – die leider nicht von allen verstanden wird.
Gabriel Yared

Ein Filmmusikkomponist, der keine Bilder mag. Vielleicht sind deshalb die Klänge von Gabriel Yared so geheimnisvoll. Oftmals gewürzt mit einer gewissen orientalischen Note, denn Yared kam in Beirut zur Welt. Das Reich der Filmmusik eroberte er sich gewissermaßen als Quereinsteiger: Nach dem Besuch eines von Jesuiten geführten Internats studierte er zunächst Jura, weil der Vater es so wollte. Gegenüber der Universität gab es eine Kirche mit einer großen Orgel. Dorthin zog es Yared jeden Nachmittag; an der Tastatur sitzend studierte er all die Musik, die er in die Finger bekam: von Buxtehude über Bach, Brahms, Schumann bis hin zu Louis Vierne und Olivier Messiaen.

Brasilianische Einflüsse

Mit 22 reiste Gabriel Yared nach Brasilien, um seinen Onkel zu besuchen. Aus den geplanten 14 Tagen wurden anderthalb Jahre. In dieser Zeit kam Yared mit dem Bossa Nova in Kontakt; als Komponist nahm er an verschiedenen Wettbewerben teil. Da konnte er auch von seinen Kenntnissen auf dem Akkordeon profitieren. Spuren dieser Zeit finden sich noch heute in manchen seiner Filmkompositionen.

Anstatt drei Filme pro Jahr zu machen, belasse ich es lieber bei einem.
Gabriel Yared

Durch Godard zum Film

Gabriel Yared | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gabriel Yared 1997 in Los Angeles mit seinem "Oscar" für die Musik im Drama "Der englische Patient" | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jean Luc Godard war es, der Gabriel Yared mit dem Filmmetier in Berührung brachte; und zwar, weil er damals Anfang der 1980er-Jahre einen Arrangeur für seinen Film "Rette sich wer kann" suchte. Yared sollte für ihn einige Takte aus Ponchiellis "La Gioconda" filmgerecht orchestrieren, und das ohne je die Bilder des betreffenden Films gesehen zu haben. Und bei dieser Konstellation blieb es bis heute: Die allermeisten seiner inzwischen rund hundert Filmarbeiten schrieb Yared in Abwesenheit der Bilder, was ihn zweifellos zu einer extravaganten Erscheinung innerhalb des schnellebigen Hollywood-Betriebs macht.

Andererseits führt gerade diese Ruhe, die Abstraktion und kreative Verinnerlichung filmischer Handlungen zu einer Handschrift mit teils ungeheurem Tiefgang. Zu bewundern etwa in Yareds Partitur zu Anthony Minghellas "Der Englische Patient", für die er 1997 den "Oscar" erhielt. "Anstatt drei Filme pro Jahr zu machen, belasse ich es lieber bei einem", erläutert Yared seine Arbeitsweise. "Aber dafür möchte ich so früh wie möglich involviert sein, weil ich einfach Zeit für meinen Findungsprozess brauche."

Komponist mit Courage

Dass Gabriel Yared ein Zeitgenosse mit Courage ist, zeigt die Geschichte zu seiner Musik für Wolfgang Petersens Monumentalfilm "Troja" von 2004: Kurz vor Filmstart hatten sie die Produzenten herausgeschnitten und durch eine andere ersetzt – ein Vorgang, der in Hollywood keineswegs unüblich ist. Geradezu revolutionär dagegen war Yareds Petition, die er einige Tage später ins Internet stellte. Er forderte das Filmstudio auf, seinen bereits aufgenommenen Soundtrack zu "Troja" für eine CD-Veröffentlichung freizugeben. Inzwischen ist diese ursprüngliche Musik zum Film "Troja" tatsächlich auf CD im Handel erhältlich.

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