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Zum 80. Geburtstag von Heinz Holliger Der vollkommene Musiker

Er ist Perfektionist – und hat sich mit diesem Anspruch weltweiten Ruhm erspielt: der Oboist Heinz Holliger. Oboist? So würde er sich nie vorstellen. "Mir war das Komponieren eigentlich immer viel wichtiger als das Spielen", sagte Holliger einmal. "Komponist" also? Nein, das trifft es auch nicht ganz. Holliger ist Komponist, Dirigent und Interpret. "Es ist ein einziger Beruf. Musiker. Und der beinhaltet alles, was ich tue", so Holliger. Der Schweizer reiht sich ein in die Traditionslinie Mendelssohns, Mozarts, Beethovens: universal begabt, universal unterwegs. Am 21. Mai wurde er 80 Jahre alt.

Oboist, Komponist, Dirigent Heinz Holliger | Bildquelle: © Priska Ketterer

Bildquelle: © Priska Ketterer

Heinz Holligers Weltkarriere beginnt 1959. Er gewinnt damals in Genf den internationalen Oboen-Wettbewerb. Er entlockt dem Instrument Klänge, etabliert Spieltechniken, die völlig neu sind. Die Oboe tritt heraus aus ihrem näselnden Ensemble-Dasein, sie erstrahlt und erblüht plötzlich solistisch. Und Holliger legt damit einen völlig neuen Klangspielplatz frei für Komponistinnen und Komponisten. Wenn er selbst Musik schreibt, tummelt er sich allerdings lieber woanders: "Für Oboe habe ich relativ wenig geschrieben, weil dieses Instrument für mich zu wenig Geheimnisse hatte", erklärt Holliger.

Amalgam zwischen Stimme und Orchester

Das Komponieren ist für Holliger immer auch eine Entdeckungsreise, eine Suche, ein Forschen im Unbekannten. Also konzentriert er sich mehr auf die Flöte, aufs Orchester. Am liebsten aber schreibt er für die Stimme: "Ich möchte eine Stimme völlig einbetten in den Klang des Orchesters" – so beschreibt er sein Ideal. "Dass sich auch eine Stimme verändert durch diesen Grundklang, der vom Orchester kommt. Wenn ein dunkler Klang im Orchester ist und eine helle Stimme, dann wird die Stimme etwas dunkel und der Klang des Orchesters etwas heller. Das ergibt so ein Amalgam zwischen beiden und das ist für mich das höchste, das ich erreichen kann."

Mir ist so ein dickes Gewusel in einem Orchesterklang sehr unsympathisch.
Heinz Holliger

Allergie gegen Mehlsuppe

Als Orchestermusiker war Heinz Holliger mittendrin, hat jedes Instrument, jeden Klang aus nächster Nähe kennengelernt. In der Klangwucht dieser Instrumentenballung schult er sein Gehör, hier bildet sich das Klangideal heraus, das er beim Komponieren immer im Blick hat. "Da habe ich etwas Glück, dass ich ziemlich genau höre. Und auch eine Allergie gegen dicken Klang, eine dicke Mehlsuppe, die so vor sich hin klingt. Ich will immer Transparenz in einem Klang erreichen – auch wenn ich für viele Instrumente schreibe. Mir ist so ein dickes Gewusel in einem Orchesterklang sehr unsympathisch."

Vorliebe für französische Musik

Stattdessen: lichtdurchlässiges Klangträumen. Durchscheinend, offen, transparent. So wie man es aus der französischen Musik kennt. Von Debussy, Ravel, Koechlin – allesamt Komponisten, deren Werke Heinz Holliger auf zahlreichen CDs eingespielt und dirigiert hat, die er immer wieder auf die Konzertbühne bringt. Wichtige Anregungen kamen auch von seinen Lehrern: dem Bartók-Schüler Sándor Veress und Pierre Boulez. In Holligers eigenen Kompositionen ist es oft das Wort, die Sprache, die in die Musik hineinstrahlt: Lyrik und Prosa von Nelly Sachs, Soma Morgenstern oder Robert Walser – und manchmal auch eigene Texte, wie die selbstgeschrieben Haikus in "Dämmerlicht" für Sopran und Orchester. Die Musik ist Heinz Holligers Kraftquelle, seine Batterie: "Es ist so, dass ich ohne Musik überhaupt nicht überleben könnte. Das wäre, wie wenn man mir das Atmen verbieten würde."

Sendung: "Allegro" am 20. Mai 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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