BR-KLASSIK

Inhalt

BR-KLASSIK vergibt August-Frosch "Cloclo" von Franz Lehár an der Ohio Light Opera, Wooster

Der Operettenfrosch August 2018 geht an die Ohio Light Opera, Wooster für "Cloclo".

Die FROSCH-Begründung

"Es juckt und zuckt, es zwickt und zwackt, es ist der Teufel los!"

Wo Cloclo ist, da ist der Teufel los! Das behauptet sie bei Franz Lehár von sich, und auf der Bühne der Ohio Light Opera ist es tatsächlich so. Caitlin Ruddy ist die perfekte Besetzung für diese Rolle: ein kleiner Kobold, der in der Musik schwelgt, zu ihr tanzt und obendrein so nebenbei allen Männern den Kopf verdreht.

Lehárs letztes Stelldichein mit der leicht geschürzten, übermütigen Muse vom Geiste Offenbachs ist vor allem darstellerische eine echte Herausforderung für alle Beteiligten – denn eher französischer Schwank mit Musik als Wiener Operette. Gefragt ist also eine Besetzung von versierten Schauspielern, die sehr gut singen können. Bloß keinen Opernsänger, denn dafür sind die Dialoge zu wichtig.

Und der Ohio Light Opera gelingt es tatsächlich, diese Operette perfekt zu besetzen. Und mehr als das: Regisseur Steven Daigle hat seinem begabten Ensemble eigens eine neue Übersetzung auf den Leib geschrieben. Die folgt dem Originallibretto von Béla Jenbach einerseits, bereichert es aber gleichzeitig auch um neue Pointen, thematisiert das doch ziemlich veränderte Verhältnis der Geschlechter unaufdringlich und verleiht dem Werk so neue Aktualität.

Ohio Light Opera "Cloclo" | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Ähnlich verhält es sich mit Daigles Regie. Sie hat ein modernes Tempo, weiß der Komödie zu geben, was der Komödie ist, gibt dem Affen Zucker, wenn es nötig ist, aber nie zu viel. Den Sängern lässt sie alle Freiräume, sich ihre Figuren sehr individuell und dadurch glaubwürdig, aber auch durchaus komplex in ihrer Entwicklung, zu erspielen. Das macht Lehárs Operette zu einem sehr lebendigen Stück Theater.

Neben Caitlin Ruddy sind es besonders die beiden Alten, die hier glänzen. Vor allem Yvonne Torbe, obwohl eigentlich viel zu jung für die komische Alte, macht als Melousine eine erstaunliche Entwicklung durch: von der prüden Provinzdame zu einem Vamp im Garconne-Stil der 1920er Jahre, der nun seinerseits auf Männerfang aus ist. Noch so ein Schlag ins Kontor für ihren Gatten Severin, der schon bei Cloclo nicht zum Zuge kommt - gegen beide Frauen hat er keine Chance! Daniel Neer spielt das hinreißend komisch. Immer wenn ihn Cloclo "Papa" nennt, durchzuckt es seinen Körper, derweil seine Frau vor Mutterfreuden aufjauchzt - ein triebgesteuerter Neurotiker, mit dem man am Ende fast schon Mitleid hat.

Auch alle andern Rollen sind überzeugend besetzt, der sehr junge Benjamin Dutton ist ein charmanter Schelm mit wunderbarem Tenor, Chelsea Miller ein Zimmermädchen zum Schmunzeln, die Garde Cloclo beweglich wie ein Ballett. Das gilt auch für den Chor.

Abstriche muss man nur beim sehr einfachen Bühnenbild machen: bemalte Kulissen, nicht sehr raffiniert geleuchtet, ebenso bei den Kostümen, von denen viele aus dem Fundus kommen. Und bei den Perücken macht sich bemerkbar, dass bei der Ohio Light Opera nicht gerade viel Personal zur Verfügung steht. Das gilt auch für das 28 Mann-Orchester, in dem Spezialinstrumente wie Saxophon oder Banjo, die Lehár hier zum ersten Mal ausprobierte, fehlten. Klangwunder sind also nicht zu erwarten. Dirigent Steven Byess macht das Beste daraus und sorgt für das nötige Komödien-Tempo und für Flexibilität. Lehárs anspruchsvolle Musik erhält so ihren dramaturgisch Sinn - zu ihrem Vorteil.

Fazit: Regisseur und Bearbeiter Steven Daigle findet die richtige Mischung von Original und Modernisierung und erweckt Lehárs vergessen Operette so zu neuem Leben - zu echtem Theaterleben. Nicht zuletzt dank seiner guten Übersetzung, einem stimmigen Ensemble und seinem Gespür für gutes Timing und für Pointen.

Findet das Team vom Operetten-Boulevard auf BR-KLASSIK.

Steckbrief

"Cloclo" von Franz Lehár an der Ohio Light Opera, Wooster. Regie: Steven Daigle

Los geht´s …    
…mit der Ouvertüre vor geschlossenem Vorhang. Das kleine Orchester spielt Lehár so schlank, wie es zu seiner Zeit üblich war - eine Ouvertüre also, die die komödiantische Richtung des Abends vorgibt.

Überraschung:         
Dass Cloclo eine waschechte Amerikanerin ist, mit einem Slang zum Niederknien. Da auch sonst alle Pariser amerikanisch sprechen, fällt das nicht weiter auf. Caitlin Ruddy spricht wunderbar vulgär, ist frech, unverschämt, sexy und überraschend jung - eine Idealbesetzung.

Größte Lacher:     
Wenn Cloclo ihren ältlichen Mäzen Severin Cornichon "Papa" nennt, durchzuckt es Daniel Neer jedes Mal so herzzerreißend komisch, dass man permanent um seine Gesundheit bangt. Noch herzzerreißender komisch ist freilich Yvonne Torbe als seine Gattin Melousine, wenn sie sich in frisch entflammter Mutterliebe bemüht, aus seiner verworfenen Geliebten Cloclo das anständige Muster-Mädchen Babette zu machen.

Gelungenste Szene:     
Severins Heimkehr von Paris nach Perpignan. Wenn er in Gedanken an seine Pariser Geliebte Cloclo auf dem Kanapee dahindämmert, und er sie plötzlich zu einem rassigen Tango als braves Stubenmädel Kaffee servieren sieht. Eine Fata-Morgana? Als er aufwacht, ist es seine Frau. Das wiederholt sich, bis ihm wirklich Cloclo gegenübersteht - als vermeintlich illegitime Tochter Babette, wie ihm seine Frau überglücklich eröffnet. Geliebte, Tochter, Frau - alles unter einem Dach: jetzt dreht Severin endgültig durch.

Verblüffend:    
Wie die Schwank-Handlung von Lehárs Operette die gängigen Klischees des Genres außer Kraft setzt. Die Titelrolle: eine Soubrette. Die zwei weiteren großen Hauptrollen: der Komiker und die komische Alte! Der Tenor? - Eine Nebenrolle. Das ist eher die Dramaturgie einer Komödie mit Musik, als die einer Operette.

Herausragend:  
Wie Steven Daigels um etliche aktuelle Pointen aufgefrischte englische Fassung und seine Regie diesem alten Schwank neues Leben verliehen haben! Ohne dass die Ästhetik des Stücks auch nur entfernt angetastet würde. Aber die typgerechte Besetzung mit jungen, sehr spielfreudigen und gut sprechenden Sängern ermöglichte ein komödiantisches Ensemblespiel von hohem Niveau. Vor allem die drei Hauptdarsteller lieferten darstellerische Miniaturen vom Feinsten, servieren Pointen wie alte Hasen und können sich noch dazu bewegen wie Musicaltänzer.

Aha-Effekt:   
Wenn aus Cloclo NICHT ein braves Provinzmädchen wird - wie von der altbacken, biederen Melousine geplant. Sondern stattdessen aus Melousine ein männer-verschlingender Vamp, ganz im Stil einer Garconne der 1920er. Melousine also nicht Cloclo beeinflusst, sondern umgekehrt Cloclo sie. Eine Emanzipationsgeschichte der besonderen Art!

Berührend: 
Wie es diese Melousine schafft, für kurze Zeit ein Familienidyll zu beschwören, das ihr bisher versagt blieb: mit Vater, Mutter, Tochter, traut versammelt um die "Familienlampe" und unter der Kuckucksuhr.

Mutig, neu, zeitgemäß:
Es war die erste Aufführung dieser Operette seit 1971, obwohl sie Volker Klotz schon 1991 zu Lehárs bestem Werk erklärt hat. Seitdem sind also 27 Jahren vergangen. Dass ausgerechnet ein Festival in den USA so mutig ist, die Probe aufs Exempel zu machen, ist bemerkenswert. Noch mehr freilich, wie sie gelungen ist. Das ist vor allem der sehr zeitgemäßen Bearbeitung und Regie von Steven Daigle zu verdanken. Auch wenn die Inszenierung ästhetisch kein Neuland betritt, sondern für deutsche Augen geradezu konventionell ausfällt, so macht das das spielfreudige Ensemble vergessen. Nur bei der Ausstattung und beim Orchester merkt man die beschränkten Mittel der Ohio Light Opera dann doch.

Sei kein Frosch, küss ihn:
Die Redaktion Operette ist überzeugt und gratuliert dem Festival, dem Regieteam und allen Ausführenden zu großem Operettenmut.

Inszenierung: Steven Daigle
Musikalische Leitung: Steven Byess
Bühnenbild: Daniel Hobbs
Kostüme: Jennifer Ammons
Choreographie: Spencer Reese

    AV-Player