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Kritik – "Luisa Miller" konzertant bei den Salzburger Festspielen Applaus für Domingo an einem heiklen Opernnachmittag

In Giuseppe Verdis Oper "Luisa Miller" will die Titelheldin, ein junges Mädchen, einfach nur mit ihrem Freund Rodolfo glücklich werden. Alte Männer wissen das zu verhindern – und treiben das Liebespaar in den Tod. Die konzertante Aufführung bei den Salzburger Festspielen gerät zum Triumph für Piotr Beczała als Rodolfo – und für Placido Domingo in der Rolle des alten Miller.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Diese Nachmittagsvorstellung der "Luisa Miller" begann mit einem Coup der Salzburger Festspielleitung: Chor und Orchester hatten ihre Plätze bereits eingenommen, als Dirigent James Conlon mit der gesamten Sängermannschaft in das Große Festspielhaus einzog – wohl um zu sondieren, wie das Publikum Plácido Domingo empfangen würde, bei dessen erstem Auftritt nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn wegen angeblicher sexueller Belästigung. Ein Buh-Orkan wäre durchaus realistisch gewesen, denkbar war auch eine Buh-Bravo-Schlacht. Das Salzburger Publikumsvotum war eindeutig: Das Auditorium erhob sich geschlossen zu einer stürmischen, lang anhaltenden Standing Ovation. Damit war der politische Teil dieser Aufführung erledigt, die Sängerschar zog wieder ab, und James Conlon warf sich und sein furios aufspielendes Mozarteum Orchester Salzburg in die düstere Ouvertüre, die wie ein heftiges reinigendes Gewitter vorüberzog.

Domingos Bariton – fokussiert, kernig und klangschön

Plácido Domingo singt die Rolle des Miller bei den Salzburger Festspielen 2019 | Bildquelle: SF/Marco Borrelli Die Belästigungsvorwürfe sind ein Aspekt in Bezug auf den einstigen Ausnahme-Tenor Plácido Domingo, der sich vor Jahren schon in einen Bariton verwandelt hat. Ein anderer Punkt ist die Frage, ob der inzwischen offiziell 78-Jährige (man munkelt noch von ein paar Jahren mehr) sich die kraftraubenden Auftritte, die er jetzt hinlegt, noch zumuten sollte. Nach dem Jubel zu Beginn der "Luisa Miller" war klar: Domingo konnte nichts falsch machen. Doch wie er sich dann stimmlich schlug, war atemberaubend: fokussiert, kernig, überaus klangschön, nicht der Ansatz eines Altersvibratos, auch kein Herumstochern in baritonalen Untiefen, nur ein paar leichte Intonationstrübungen. Auch die Atemtechnik funktioniert noch. Die Spitzentöne der für Domingo angenehm hoch liegenden Partie des Miller hatten Kraft und ließen immer wieder seinen Tenor von früher aufleuchten.

Piotr Beczała begeistert als Rodolfo

Nino Machaidzes Sopran hatte zunächst viel Stahl und klang sehr unterkühlt, mit bestechend perfekt gesetzten Koloraturen. Nach dem ersten Akt wurde die Stimme weicher und runder – ohne die Qualität von Anna Netrebko zu erreichen, mit der man Nino Machaidze zu Beginn ihrer Karriere verglichen hat. Sie hat nicht berührt. Das gelang dafür dem Grafen Walter des Roberto Tagliavini mit großartig kontrolliertem, nie dröhnendem Bass – und vor allem Piotr Beczała als Rodolfo: hell glitzernd, meist unangestrengt und mit ungefährdeten, gleißenden Tönen im obersten Register. Ein Ereignis! Vom betörend schönen und wunderbar geführten Mezzo Cecilia Molinaris als Laura hätte man gern mehr gehört. Klanggewaltig die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die (zusammen mit dem mächtig aufrauschenden Orchester) im Finale des 1. Akts den Solisten keine Chance ließ.

Perfekte Choreografie eines heiklen Opernnachmittags

Niemand kann ermessen, wie viel Überwindung es Plácido Domingo gekostet haben mag, sein Salzburg-Engagement nicht abzusagen. Er hat sich, getragen auch von der Festspielleitung, dem Publikum gestellt – und gewonnen. Als Sänger allemal – und für eine überwältigende Mehrheit im Salzburger Publikum auch als Mensch. Auffallend war: Nur ein einziges Mal kamen sich Placido Domingo und Nino Machaidze als Vater und Tochter etwas näher, sonst wahrte man Abstand. Und sah auch am Schluss von den üblichen Umarmungen und Küsschen ab. Perfekte Choreografie eines heiklen Opernnachmittags. 

Sendung: "Leporello" am 27. August 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK