SWEET SPOT.
Neugierig auf Musik
Die Corona-Pandemie hat uns klar gemacht: Vieles kann so nicht weitergehen, auch in der Klassikbranche muss sich etwas ändern. Orchester und Musiker*innen gingen bis vor kurzem noch weltweit auf Tournee und verursachten so unglaublich viel CO2 durch Flüge. Aber: Ist das überhaupt noch zeitgemäß? Und wie können wir mit Nachhaltigkeit die Zukunft der klassischen Musikbranche gestalten? In der SWEET SPOT-Sendung zur ARD-Themenwoche suchen wir nach Lösungsansätzen und lassen uns von unseren sechs Gästen dazu inspirieren.
Bildquelle: Mischa Blank
In voller Länge zum Anhören
ARD-Themenwoche #wieleben: Nachhaltigkeit in der Klassikbranche
Bildquelle: picture alliance / dpa / Jim Rakete
Der Kulturmanager und Konzertdesigner leitet die Köthener Bachfesttage und die Montforter Zwischentöne. Der gelernte Rundfunk- und Fernsehtechniker und studierte Geiger gründete 2006 das Radialsystem in Berlin – einen Raum für Kunst und Ideen. Er tritt ein für Festivals, die die Region und die Menschen vor Ort verknüpfen und lehnt, wie er sie nennt, Satelliten ab, die "alle zwei Jahre einschweben und wieder verschwinden." Auch persönlich möchte Uhde möglichst einen kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen und deswegen weitestgehend Flugreisen vermeiden.
Musik könnte mehr wirken, wenn sie lokal bleibt und spürt, was das Publikum braucht.
Bildquelle: Phil Kinnlipp
Fine hat Musikbusiness an der Popakademie Baden-Württemberg studiert und ihre Bachelor-Arbeit über Musikindustrie und Klimaschutz geschrieben. Mittlerweile kümmert sie sich um das Green Touring Network und informiert sowie berät Musiker*innen und Bands rund um nachhaltiges Touren. Sie findet, dass es eine politische Regulierung braucht, um das Klima zu schützen. Deshalb macht sie Lobbyarbeit bei "Music Declares Emergency" und fordert einen "Green New Deal", an den wir uns alle halten sollten.
Ist das richtig, nur weil wir das schon immer so gemacht haben?
Bildquelle: Sarah Wijzenbeek
Der Cellist und gebürtige Münchner hat vor der Corona-Pandemie Konzerte auf der ganzen Welt gegeben – von den USA bis nach Neuseeland. Er sei schon so viel geflogen, sagte er 2019, dass "das alles nicht durch Bäumchenpflanzen wieder gut zu machen ist." Deswegen will er in Zusammenarbeit mit seiner Agentur Konzerte und Reisen "sinnvoll" zusammenfassen, um auf möglichst viele Flüge zu verzichten. Vor allem, wenn es nur um ein Konzert, ein Festival oder eine Probe geht.
Jeder soll einen kleinen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
1/6
Juri de Marco, Hornist und Gründer des Stegreif Orchesters
"Konzerte sind keine politischen Veranstaltungen", sagt der Hornist Juri de Marco, der 2015 das Stegreif Orchester in Berlin gegründet hat – ein Ensemble mit 30 jungen Menschen, die improvisieren und ohne Noten sowie Dirigenten spielen. Gemeinsam haben sie sich dazu entschlossen, sich vegetarisch zu ernähren sowie auf Flüge zu verzichten. Seine Vision: Große Kulturzentren in jedem Ort – mit eigenen Musiker*innen und Komponist*innen. Aus diesen Kollektiven sollen Projekte entstehen, die tiefgreifend in der Stadt wirken. | Bildquelle: BR
2/6
Magdalena Ernst, Vorsitzende beim Orchester des Wandels
Sie ist Solohornistin bei den Duisburger Philharmonikern und seit diesem Sommer Vorsitzende des neu gegründeten Vereins "Orchester des Wandels", einem Zusammenschluss von Berufsorchestern, die sich aktiv für Klimaschutz einsetzen. Auf politische Aktionen will der Verein verzichten, statt dessen setzen die Orchester auf Klimakonzerte und auf die Kraft des Kollektivs: "Wir haben eine unglaubliche Macht, etwas zu tun, ganz besonders, wenn wir das miteinander tun", sagt Magdalena. | Bildquelle: BR
3/6
Fine Stammnitz vom Green Touring Network
Fine Stammnitz hat Musikbusiness an der Popakademie Baden-Württemberg studiert und leitet das Green Touring Networks. Hier informiert und berät sie Künstlerinnen und Künstler rund um nachhaltiges Touren. Fine Stammnitz ist für politische Regulierung und stellt sich einen "Green New Deal" vor, bei dem das Thema Nachhaltigkeit "ein ganz normaler Bestandteil des Alltags" ist. Und dabei sei es egal, "in welchem Genre eine Maßnahme umgesetzt wird." Ob Klassik oder Pop - hauptsache Klimaschutz. | Bildquelle: BR
4/6
Kulturmanager und Konzertdesigner Folkert Uhde
Folkert Uhde leitet die Köthener Bachfesttage und die Montforter Zwischentöne. Er stellt sich Festivals vor, die die Region und die Menschen vor Ort verknüpfen, so dass die Künstlerinnen und Künstler davon erzählen können und das Publikum die Chance hat, mit einzelnen Künstlern in Kontakt zu treten. Uhde weiß, dass das aktuelle Klassik-Geschäftsmodell auf Reisen beruht, trotzdem lehnt er eine sogenannte "Helikopter-Kunst" ab, bei der ein Musiker für ein Konzert kurz "abgeworfen" und danach wieder "eingesammelt" wird. | Bildquelle: BR
5/6
Projektmanager Joric Pretzel von der Konzertdirektion Schmid
Als Projektmanager entwirft und verkauft er Tourneen internationaler Orchester und hat innerhalb der Konzertagentur Schmid das Klimakomitee gegründet. Er weiß, dass das Touren mit dem Zug, auch wenn es nachhaltiger ist, nicht immer möglich ist, etwa wenn ein Konzert nach einer langen Anreise stattfinden soll. Die Kosten für einen Nur-Reisetag liegen bei einer Orchester-Tour "im mittleren fünfstelligen Bereich", so Pretzel. Das sei finanziell nicht darstellbar: "Das sind solche Szenarien, an denen es erstmal scheitert." | Bildquelle: BR
6/6
Cellist Johannes Moser
Johannes Moser war bis zur Pandemie auf der ganzen Welt mit seinem Cello unterwegs, vor allem in den USA. Er ist sich seinem ökologischen Fußabdruck bewusst und will deshalb Kontinentalflüge reduzieren und so viele Konzerte wie möglich "sinnvoll zusammenfassen". Nur für ein Konzert oder eine Probe nimmt er mittlerweile keinen Flug mehr auf sich. Trotzdem spielt der Kulturaustausch für ihn eine große Rolle, etwa wenn ein US-Orchester in Nordkorea auftritt: "Wir haben als Künstlerinnen und Künstler auch eine Botschafterfunktion." | Bildquelle: Sarah Wijzenbeek
Bildquelle: Mischa Blank
Die Solohornistin der Duisburger Philharmoniker ist seit diesem Sommer auch Vorsitzende eines neu gegründeten Vereins: Orchester des Wandels. Die Initiative dahinter, die von der Staatskapelle Berlin auf die Beine gestellt wurde, gibt es zwar schon seit 2009 – mit einem Verein sei man jetzt aber auch handlungsfähig, so Magdalena. Die Berufsmusiker*innen, die sich im Orchester des Wandels organsieren, wollen Verantwortung übernehmen, weil sie in der Öffentlichkeit stehen.
Wir können was tun, wenn wir uns alle zusammenschließen.
Bildquelle: Juri de Marco
Der studierte Hornist und Jazztrompeter gründete 2015 das Stegreif Orchester – ein Ensemble mit 30 jungen Musiker*innen, die barfuß spielen, improvisieren und auf Noten sowie einen Dirigenten verzichten. Und sie treffen gemeinsam Entscheidungen. So haben sie für sich Plastikflaschen abgeschafft und sind gemeinsam auf eine vegetarische oder vegane Ernährung umgestiegen. Außerdem hat sich das Stegreif Orchester gegen das Fliegen entschieden, auch wenn ihm damit ein paar spannende Auftritte durch die Lappen gegangen sind. Lieber fahren die Musiker*innen Zug und nutzen Klappfahrräder, um während einer Tournee die Städte erkunden zu können. Und Juri hat eine Vision: Er wünscht sich große Kulturzentren in jedem Ort – mit eigenen Musiker*innen und Komponist*innen. Aus diesen Kollektiven sollen viele große und bunte Projekte entstehen, die tiefgreifend in der Stadt wirken.
Konzerte sind keine politischen Veranstaltungen.
Bildquelle: Franz Fender
Joric Pretzel ist Projektmanager im Orchestra Touring Department der Konzertdirektion Schmid in Hannover. Er entwirft und verkauft Tourneen internationaler Orchester und hat innerhalb der Konzertdirektion ein Klimakomitee gegründet, weil sich auch sein Arbeitgeber fragt: Wie können wir klimafreundlicher und nachhaltiger wirtschaften? Dafür hat sich die Konzertdirektion mit einer Hamburger Agentur zusammengetan, um die Orchestertourneen im Detail zu analysieren – mit dem Ziel, in Zukunft klimaneutraler zu reisen. Dazu gehört auch, Reiserouten bewusster zu planen um auf Flüge zu verzichten und mehr auf die Bahn zurückgreifen zu können.
Die Popbranche ist ein Vorbild darin, furchtlos neue Wege zu beschreiten.
Am 16. November, um 21:05 Uhr auf BR-KLASSIK. Moderation: Annekatrin Hentschel.
Musik:
Stegreif Orchester
SWEET SPOT auf Instagram
Unsere Sendungen als Podcast