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Klassik per App Warum digitale Musikvermittlung eine gute Idee ist

Klassische Musik im Science-Fiction-Modus – die Münchner Philharmoniker haben gerade eine App herausgegeben, die Musik außerhalb des Konzertsaals erfahrbar macht. Gustav Holsts „Planeten“ erklingen dabei als digitale Schnitzeljagd, spielbar in diversen Parks und Grünflächen von München bis Los Angeles.

"Screenshot" aus Planeten-App | Bildquelle: Mathis Nitschke

Bildquelle: Mathis Nitschke

Endlich sind die Konzertsäle nach Corona wieder für ein großes Publikum geöffnet. Doch was, wenn die Plätze leer bleiben? Ein Publikumsschwund war schon vor der Corona-Pandemie zu beobachten, hat sich aber durch sie nochmal beschleunigt. Vor allem junge Konzertbesucherinnen und -besucher bleiben aus. Und das bereitet vielen klassischen Musikerinnen und Musikern Sorge.

Interaktives Klassik-Computer-Spiel als Köder

Screenshot aus "Planeten"-App | Bildquelle: Mathis Nitschke Screenshot von der "Planeten"-App | Bildquelle: Mathis Nitschke Wie bekommt man also junge Menschen ins Konzert, deren Welt zahllose mediale Reize bereithält? Der Konzertsaal wirkt auf viele von ihnen offenbar wenig attraktiv. Die Lösung könnte ein Musikvermittlungsprogramm sein, das sein Publikum an einer Stelle abholt, an der sich das tatsächliche Leben abspielt. Also eher im Stadtpark als im Konzertsaal. Der Münchner Komponist Mathis Nitschke hat ein solches Programm entwickelt - gemeinsam mit Gunter Pretzel, ehemaliger Bratscher der Münchner Philharmoniker. Es ist eine Musik-App, ein interaktives Klassik-Computer-Spiel, wo Orchestermusik und New Technology aufeinander treffen, direkt auf dem Handy.

Neue Handy-App zu Gustav Holsts „Planeten“

Grundlage der neuen App ist Gustav Holsts Orchester-Suite „Die Planeten“. Obwohl Holst seine "Planeten"-Suite vor über 100 Jahren komponiert hat, klingt die Musik ein bisschen nach "Star Wars". Sehr illustrativ und zugänglich ist sie – thematisch wie musikalisch. Ein guter Ausgangspunkt für eine App, die die Musik auch zu denen bringen soll, die normalerweise kein Philharmoniker-Abo haben. „Das ist schon eine sehr, sehr starke Musik“, sagt Gunter Pretzel, der Holsts "Planeten"-Suite in seinem letzten Konzert mit den Philharmonikern 2021 gespielt hat. Jetzt im Ruhestand nochmal tiefer in diese Musik einzutauchen, habe ihm große Freude bereitet, erzählt er. Auf Grundlage dieser Musik hat Pretzel für die App klangliche Zwischensequenzen gestaltet.

Virtuelle Schnitzeljagd von München bis Los Angeles

Screenshot aus "Planeten"-App | Bildquelle: Mathis Nitschke Mit dem Handy durch den Englischen Garten | Bildquelle: Mathis Nitschke Die "Planeten"-App ist eine Mischung zwischen Geo-Cashing, also einer Art virtueller Schnitzeljagd, und einem Education-Programm. In verschiedenen Münchner Parks, aber auch in Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg und sogar Köln, Amsterdam und Venice Beach, LA, gibt es Startpunkte. Ortungsdienste einschalten und los gehts. So können sich die User*innen zur Musik einfach durch den Park lotsen lassen.

App reagiert auf Bewegungen

Am Startpunkt angekommen, spult die App ein Programm ab, in der die Musik auf den Ort reagiert, an dem sich die oder der User gerade befindet. Es ist ein immersives Musikspiel, das auch Pop-geneigten Hörerinnen und Hörern neue Klangerlebnisse bescheren dürfte. Denn nicht nur die einzelnen Teile der "Planeten"-Suite sind an jeweilige Orte gekoppelt. Das Klangbild des Orchesters reagiert auch auf Bewegungen. Dreht man sich zu den Bläsern, werde diese lauter, guckt man dahin, von wo vermeintlich die Streicher erklingen, treten diese in den Vordergrund.

So etwas wird sicherlich zukünftig eine große Rolle spielen.
Gunter Pretzel, ehemaliger Bratschist der Münchner Philharmoniker

Die Entwickler Nitschke und Pretzel haben dieses räumliche 360-Grad-Hören im Orchester auch zuvor schon einmal in einer App umgesetzt. Für sie ist das mehr als nur eine technische Spielerei: „So etwas wird sicherlich zukünftig eine große Rolle spielen“, sagt Pretzel. Grundsätzlich ist die Klassik-Branche der digitalen Welt gegenüber durchaus offen. Viele Musikerinnen und Musiker arbeiten bespielsweise schon seit Jahren mit verschiedenen Apps und digitalen Notenbibliotheken.

Was Beethoven mit der Entwicklung der CD zu tun hatte

Screenshot aus "Planeten"App | Bildquelle: Mathis Nitschke Orte, an denen die "Planeten"-App eingesetzt werden kann. | Bildquelle: Mathis Nitschke In der Vergangenheit hat die Klassik digitale Entwicklungen sogar selbst beeinflusst: bei der Audio-CD zum Beispiel. Auf die passen genau 74 Minuten Spielzeit. Der Grund: Man wollte damals, dass Beethovens Neunte ohne Unterbrechungen abgespielt werden kann. Herbert von Karajan war maßgeblich daran beteiligt. Heute sind Audio-CDs als Medium zwar schon fast wieder überholt, nicht aber der Wunsch, Musik in portablen Abspielgeräten in die Welt zu tragen. Sich nun auch über die Musik mit der eigenen Umwelt zu verknüpfen – das klingt nach dem Holodeck in Star Trek, aber auch wirklich nach Zukunft.

Über virtuelle Spielerei in den Konzertsaal?

Bleibt die Frage: Kann eine App das Konzerterlebnis ersetzen? Wohl nicht. Klassik klingt live immer noch am allerbesten. Das wird sich wohl auch so bald nicht ändern. Doch aus einem Vermittlungsgedanken heraus gedacht: Eine solche Art der musikästhetischen Erfahrung ist viel wert. Denn hier wird Klassik nicht trocken oder edukativ erklärt. In der "Planeten"-App wird Musik niederschwellig, gut klingend und auf technisch faszinierende und ebenso spielerische Art erfahrbar. Und zwar für alle, auch für Menschen, die klassischer Musik sonst eher nicht begegnen.

Sendung: "Leporello" am 30. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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