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Zum 80. Geburtstag von Mariss Jansons Herzensmensch, Arbeitstier, Kämpfernatur

Am 14. Januar wäre er 80 Jahre alt geworden: Mariss Jansons, weltweit geschätzter Pultstar und bis zu seinem Tod 2019 Chefdirigent von Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks. BR-KLASSIK würdigt Jansons mit einer ganzen Reihe von Sendungen im Hörfunk und auf ARD alpha. Anlass für ein Porträt voller Erinnerungen an einen leidenschaftlichen Musiker.

Dirigent Mariss Jansons | Bildquelle: BR/Peter Meisel

Bildquelle: BR/Peter Meisel

12. Oktober 2014, eine Suite im Hotel Bayerischer Hof, wo Mariss Jansons residierte, wenn er in München war. Einer der seltenen Interviewtermine mit Jansons – Anlass war der 100. Geburtstag seines verstorbenen Vaters Arvīds Jansons, der gleichfalls ein bedeutender Dirigent war. Da war Mariss Jansons dann doch mal zu einem ausführlichen Gespräch bereit, weil er seinem Vater viel zu verdanken hatte. Und es stand ein Gastspiel mit "seinem" Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in seiner Geburtsstadt Riga an, damals Europäische Kulturhauptstadt.

Der Empfang war herzlich, wie immer bot Jansons dem Gast erstmal Konfekt aus einer riesigen Obstschale an. "Frische Luft, frische Luft!" rief Jansons, als ich die Fenster wegen des Straßenlärms schließen wollte, um Störgeräusche bei der Aufnahme zu vermeiden. Also blieben die Fenster offen. Aber da war nicht viel los an jenem Sonntagvormittag. Später hörte man dann mal die Glocken des Liebfrauendoms im Hintergrund.

Schon als kleiner Junge wollte Jansons Dirigent werden

In der lettischen Hauptstadt wurde Mariss Jansons 1943 mitten im Krieg, unter der deutschen Besatzung geboren. Seine jüdische Mutter, eine Sängerin, musste ihn in einem Versteck zur Welt bringen, nachdem ihre Familie im Rigaer Ghetto ermordet worden war. Ungewöhnlich früh äußerte der kleine Mariss seinen Berufswunsch – mit drei Jahren. Da saß er nämlich schon im Opernhaus von Riga, wo sein Vater Kapellmeister war. "In dieser Atmosphäre bin ich aufgewachsen", erzählte er damals. Den ganzen Tag habe er in der Oper verbracht. "Dann bin ich nach Hause gegangen und habe Dirigent gespielt: Bücher waren meine Partituren, ein Stück Holz mein Taktstock, dann habe ich meine Hose, mein Hemd, meine Jacke gewechselt und so getan, als wäre es mein Frack. Ich war total begeistert von diesem Beruf – da gibt's Fotos davon!"

Herbert von Karajan wurde Jansons Mentor

Höchstens seine Fußball-Leidenschaft wäre für Jansons eine ernsthafte Berufs-Alternative gewesen. 1956 zog die Familie ins sowjetische Leningrad. Dort arbeitete Arvīds Jansons als Stellvertreter von Jewgenij Mrawinskij bei den Leningrader Philharmonikern, Mariss studierte derweil am Konservatorium. Herbert von Karajan wurde sein Mentor – und erreichte, dass Jansons nach Wien ausreisen durfte, um sich bei ihm und Hans Swarowsky weiterzubilden.

Später, 1973, wurde Jansons wie sein Vater Assistent von Mrawinskij, dem strengen Orchestererzieher. "O ja, er war eine sehr starke Persönlichkeit!", sagte Jansons mit Nachdruck, als wir auf Mrawinskij zu sprechen kamen. Für ihn habe nur Qualität gezählt, da habe er keine Kompromisse gemacht. Kaum einer habe in Russland westliche Musik so gekonnt dirigiert wie Mrawinskij. Außerdem war er der Lehrer von Dmitrij Schostakowitsch. "Schostakowitsch und Mrawinskij verband eine enge Freundschaft, das war ein starkes Duo. Und Mrawinskij war kein Parteimitglied, er war sehr kritisch in seiner Haltung."

Preisgekrönte Schostakowitsch-Aufnahmen unter Mariss Jansons

So kam es, dass Jansons selbst zu einer Schostakowitsch-Autorität wurde. Seine Referenzaufnahme der fünfzehn Schostakowitsch-Symphonien sind ein bleibendes Vermächtnis. Den preisgekrönten Zyklus nahm Jansons mit acht Spitzenorchestern aus der ganzen Welt auf, darunter das Pittsburgh Symphony Orchestra und die Osloer Philharmoniker – bei beiden Orchestern war Jansons Chefdirigent. Mit seiner mehr als zwanzigjährigen Aufbauarbeit in Oslo wuchs auch der Jansons' Ruhm. Sechs Symphonien seiner Schostakowitsch-Edition hat er mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eingespielt, dessen Chefdirigent er 2003 wurde. Ein Jahr später kam noch die Leitungsposition beim Amsterdamer Concertgebouw Orchester dazu.

Kampf für einen neuen Konzertsaal in München

Chefdirigent Mariss Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk beim Konzert in Nishinomyia, Japan. | Bildquelle: BR/Peter Meisel Mariss Jansons setzte sich für einen akustisch idealen Konzertsaal in München ein. | Bildquelle: BR/Peter Meisel Ab 2015 widmete sich Jansons dann ausschließlich dem BRSO. Und kämpfte in München wie ein Löwe für einen neuen, akustisch idealen Konzertsaal, in dem er die Qualitäten seiner Musikerinnen und Musiker endlich angemessen zur Geltung bringen wollte. Wer den Großen Saal im Amsterdamer Concertgebouw kennt, weiß, unter welch exzellenten akustischen Bedingungen Jansons dort musizieren konnte: Warm, weich und volltönend umhüllt das historische Gehäuse den Klang wie ein Instrument, jedes Detail kommt glasklar zur Geltung. Ein ähnliches Aha-Erlebnis hat man, wenn man den fantastischen Konzertsaal im Luzerner Kultur- und Kongresszentrum KKL zum ersten Mal erlebt, das markant in den Vierwaldstättersee ragt. Die Gelegenheit bot sich immer beim Lucerne Festival zu Ostern, wo Jansons mit dem BRSO Stammgast war.

2015 war es wieder mal soweit, dass Jansons der Geduldsfaden riss, weil sich die bayerische Landespolitik nach zehnjähriger Planungsphase hinter der unseligen Standortdebatte für das neue Konzerthaus verschanzt hatte. Da stellte er abermals seine Kämpfernatur unter Beweis. Bei einem Interview in Luzern, Ehefrau Irina mit Hündchen immer im Hintergrund, klagte Jansons über die Ignoranz der Lokalpolitiker: "Was für eine Blamage – und für mich die größte Enttäuschung, dass das in Deutschland passiert, einer führenden Kulturnation!" Auf dieses Kulturerbe müsse man doch stolz sein, er jedenfalls fühle sich an der Nase herumgeführt. Eine unendliche Geschichte, leider.

Klangkultur des BRSO war für Jansons besonders wichtig

In den höchsten Tönen sprach Jansons von seinem Münchner Orchester. Stets rühmte er das hohe Niveau, auf dem er mit dem BRSO arbeiten konnte – und die Sensibilität seiner Mitglieder. "Denn sie sind es, die spielen – nicht ich, ich dirigiere ja nur", meinte Jansons mit dem ihm eigenen Schalk. "Sie müssen für den Ausdruck sorgen. Und der kommt von innen – aus ihrem Herzen, aus ihrem Kopf, aus ihrer Seele. Und wenn sie nichts einbringen, keine Gedanken, kein Verständnis, keine Gefühle, dann spielen sie nur Noten." Neben der technischen Brillanz war ihm, dem Arbeitstier und Perfektionisten, die Klangkultur wichtig, an der er unermüdlich feilte. Skrupulös wie er war, stellte er sein Tun immer wieder in Frage. Verzehrte sich für die Musik, die bei ihm von Joseph Haydn bis Wolfgang Rihm reichte. Aus Mariss Jansons' riesiger Diskografie ragen die kompletten Beethoven- und Mahler-Zyklen, eingespielt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Gekrönt wurde dieses Lebenswerk 2013 mit dem Ernst von Siemens Musikpreis. Außerdem wurde er 2019 mit dem OPUS KLASSIK für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Mariss Jansons starb mit 76 Jahren in Sankt Petersburg

Mariss Jansons und das BRSO beim letzten gemeinsamen Konzert in der Carnegie Hall am 8. November 2019 | Bildquelle: Astrid Ackermann/BR Mariss Jansons und das BRSO beim letzten gemeinsamen Konzert in der Carnegie Hall am 8. November 2019 | Bildquelle: Astrid Ackermann/BR Auf dem Podium blühte Jansons auf, beim Musizieren umarmte dieser Herzensmensch sein Orchester und uns im Publikum. Mit seinem ansteckenden Temperament, seinem musikalischen Feuer und seiner charismatischen Ausstrahlung. Meist kam er nach Aufführungen schweißgebadet ins Künstlerzimmer, völlig erschöpft und ausgepowert – und freute sich doch wie ein Kind über die Glückwünsche von Kollegen, Musikerinnen und Fans. Am Ende brannte er wie eine Kerze an beiden Enden, der Körper spielte nicht mehr mit, die Energie war aufgebraucht. Ein unter größten Mühen absolviertes Gastkonzert mit dem BRSO, das am 8. November 2019 in der New Yorker Carnegie Hall stattfand, sollte sein letztes werden. "Ein Todgeweihter stand hier am Pult", urteilte der Münchner Merkur rückblickend. Drei Wochen später, am 1. Dezember 2019 starb Mariss Jansons mit 76 Jahren in seiner Wahlheimat Sankt Petersburg. Lapidar würdigte ihn die Süddeutsche Zeitung: "Der aufrichtigste, integerste, empathischste Dirigent der Welt ist tot."

Programm-Tipps rund ums Jubiläum von Mariss Jansons

Mariss Jansons im Hörfunk auf BR-KLASSIK:

Mittwoch, 11. Januar ab 22:05 Uhr: Der Chor des Bayerischen Rundfunks
Samstag, 14. Januar ab 10:05 Uhr: "Ich fühle Verantwortung", Mariss Jansons im Porträt
Samstag, 14. Januar ab 13:05 Uhr: Cantabile
Samstag, 14. Januar ab 15:05 Uhr: On stage
Sonntag, 15. Januar ab 7:05 Uhr: Laudate Dominum
Sonntag, 15. Januar ab 10:05 Uhr: Symphonische Matinée
Sonntag, 15. Januar ab 22:05 Uhr: Geistliche Musik

Mariss Jansons im Fernsehen bei ARD alpha:

Sonntag, 15. Januar ab 21:45 Uhr: Jansons dirigiert Corigliano, Korngold und Rachmaninow

Kommentare (5)

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Montag, 16.Januar, 02:51 Uhr

Steffen

@Wilfried

In den letzten Jahren war Jansons für das Orchester doch wohl eher ein Danaergeschenk (i.e. Trojanisches Pferd) für das Orchester. Indem er nicht einsehen wollte, dass seine Kräfte nicht mehr ausreichend waren, nahm er aus reinem Egoismus erhebliche Einschränkungen des Konzertlebens über Jahre in Kauf.

Natürlich tragen hier auch seine Arbeitgeber eine Mitschuld, die an einem überkommenen Maestrokult festhalten. So verdiente er ein Vielfaches des Gehaltes des Bayerischen Ministerpräsidenten, residierte aber nur wenige Wochen im Jahr in einem Luxushotel. Aus seinen Interviews ist nicht zu entnehmen, dass er einen besonderen Anteil am kulturellen Lebens Deutschlands oder Bayerns genommen hat.

Inwieweit die Verehrung, die Jansons medial entgegengebruacht worden ist, organisch war, kann ich natürlich nur eingeschränkt beurteilen. Jansons war recht gut in einem bestimmten Repertoire, wozu leider nicht das deutsche Kernrepertoire gehörte. Vielleicht bin ich zu altmodisch.

Sonntag, 15.Januar, 16:27 Uhr

Wilfried Schneider

Der unidiomatische Steffen

Ach, Herr oder Frau Steffen, Sie scheinen ja ein besonderes "Wundertier" zu sein: Anscheinend sind Sie der Einzige, der weiß, wie Beethoven "idiomatisch" zu spielen ist. Damit man nicht hinter Ihr geheimstes Geheimnis kommt, ziehen Sie offenbar die Anonymität vor. So wird es auch weiterhin für die unwissenden Dirigenten und Dirigentinnen ein Geheimnis bleiben, wie der gute Beethoven wirklich zu klingen hat. Sie sind ja, leider, unbefragbar.
Und so ganz nebenbei: die Konzerte mit Mariss Jansons gehören für mich zu den schönsten und beeindruckendsten Ereignissen! Jansons war für das das Publikum und, so jedenfalls mein Eindruck, auch für das Orchester ein Geschenk.

Samstag, 14.Januar, 16:02 Uhr

Steffen

@Siggi

Vertört sein ohne Argumente ist ja eine besonders sinnvolle Tat, und die Argumentlosigkeit wird auch nicht durch ein bisschen Küchenlatein aufgewertet.

Was stimmte denn an meinem Beitrag nicht?

Gefällt dir Jansons Beethoven?

Findest du es eine natürliche Situation, dass die drei großen Klangkörper Münchens zeitweise mit drei Russen besetzt waren (Jansons, Petrenko, Gergiev), die alle schwach im deutschen Repertoire waren (man denke nur an den schrecklich unidiomatischen Bruckner Gergievs).

Sicherlich kann man bei Jansons differenzieren. Ich bezog mich in erster Linie auf die deutschen Klassiker und Frühromantiker, die nur selten und dann schwach gegeben wurden. Die Spätromantiker wurden durchaus nicht selten gegegeben. Wobei eigentlich auch dort nur der Mahler sehr gut war, Strauss recht gut, aber keinesfalls überragend, Bruckner bestenfalls durchwachsen.

Ich hoffe, die neuerliche Verstörung hält sich in Grenzen, und das Kopfschütteln sorgt für keine Verspannungen,

Samstag, 14.Januar, 08:58 Uhr

Siegfried Metzger

Si tacuisses.......

Meinem Vorposter Steffen gewidmet: Wenn Sie geschwiegen hätten, wären Sie ein Philosoph geblieben! Sorry, man kann über Ihren beckmesserischen Beitrag nur noch verstört den Kopf schütteln.

Donnerstag, 12.Januar, 12:43 Uhr

Steffen

Im deutschen Repertoire...

...war Marris Jansons hörbar nicht zu Hause (seine Gesamtaufnahme der Beethoven-Sinfonien ist langweilig und unidiomatisch). Es sagt auch einiges über die heutigen Zustände in einer deutschen Musikmetropole aus, dass sich dieser Dirigent so lange in München halten konnte, obwohl seine Konzerte eine so russische Schlagseite hatte.

Wenn man sich vergegenwärtigt, welche große Probleme Dirigenten wie Ozawa in Boston und Martinon in Chicago hatten, weil sie im deutschen Repertoire nicht so stark waren (und das in den USA, wo die deutsche Kultur aus politischen Gründen systematisch hintertrieben wurde!), kann man sich nur wundern, wie es mit der Kulturpflege hierzulande aussieht.

Und seit dem Tod Jansons hat sich gar nichts geändert, die hofierten Dirigenten in München scheinen alle im deutschen Repertoire zu fremdeln, doch niemand scheint es zu stören.

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