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Koloratur-Sopranistin Edita Gruberová gestorben Zum Tod der Belcanto-Königin

Die Sopranistin Edita Gruberová beherrschte den Koloraturgesang wie keine Zweite und konnte auf eine sagenhafte Karriere zurückblicken: 45 Jahre lang sang die Gruberová an der Spitze, bis sie sich im März 2019 im Münchner Nationaltheater verabschiedete. Jetzt ist sie, kurz vor ihrem 75. Geburtstag, in ihrer Wahlheimat Zürich gestorben.

Belcanto-Königin: Zum Tod von Edita Gruberová

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"Alles Vollkommene in einer Art muss über seine Art hinausgehen, es muss etwas Anderes, Unvergleichbares werden.  In manchen Tönen ist die Nachtigall noch Vogel; dann steigt sie über ihre Klasse hinaus und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich Singen heiße." – Das hat Goethe gesagt. Er könnte damit Edita Gruberová gemeint haben. Im März 2019 hat sich die slowakische Sopranistin nach einer beispiellosen Karriere im Münchner Nationaltheater verabschiedet.

Edita Gruberovás Karriere in Bildern

Ein halbes Jahrhundert auf der Opernbühne

45 Jahre lang sang die Gruberová an der Spitze – und das in einer Zeit, in der alle Augenblicke neue Stimmen auf den Markt geworfen werden. 45 Jahre lang Königin der Koloraturen – aber nicht Königin im wirklichen Leben. Als letzte Primadonna hat man die Gruberová immer wieder bezeichnet – da hat sie protestiert: mit Primadonnen könne sie gar nichts anfangen, das seien in erster Linie Frauen mit großen Hüten.

Im realen Leben bin ich ein ganz normaler Mensch mit allen möglichen Bedürfnissen, Träumen oder Enttäuschungen – was halt jeder andere Mensch auch erlebt.
Edita Gruberová

Debüt mit Rossini, konkurrenzlos in der "Zauberflöte"

Edita Gruberova als Königin der Nacht in Jean Pierre Ponnelles Salzburger "Zauberflöte", 1978. | Bildquelle: Foto aus dem Buch Edita Gruberova von Markus Thiel / Henschel Verlag Von ihrer Mutter hat sie die Stimme geerbt, entdeckt wurde sie von ihrer Lehrerin in der ersten Klasse. In ihrer Geburtsstadt Bratislava hat sie studiert; ihr Debüt hat sie dort mit der Rosina in Rossinis "Barbier von Sevilla" gegeben. Dann hat sie sich in Wien vorgestellt – mit der Königin der Nacht in Mozarts "Zauberflöte". Mit dieser Rolle blieb sie zwei Jahrzehnte lang weltweit konkurrenzlos. Mit Tönen wie Leuchtraketen – und mit einem hohen F, das in seiner Reinheit und Sicherheit seinesgleichen sucht.

Es waren natürlich die hohen und höchsten Töne, mit denen Edita Gruberová das Publikum ins Delirium gesungen hat – vor allem mit der Zerbinetta in der "Ariadne" von Richard Strauss, mit der sie 1976 weltberühmt wurde. Aber dazu kam auch, was sie mit diesen Tönen gemacht hat: Sie konnte wie niemand sonst Koloraturen zu Emotionen umformen. Mit der Gruberová haben wir alle die Belcanto-Opern eines Donizetti oder Bellini wiederentdeckt: da hat sie uns mit ihren unnachahmlichen Crescendi und Decrescendi ins Mark getroffen. Mit ihren Pianissimi, die sie aus dem Nichts wie Laserstrahlen in den Saal geschickt hat; kristallklar, mit endlosem Atem.

Donizetti ist mein Komponist, er hat für meine Stimme komponiert. Schade, dass ich damals nicht gelebt habe. Oder er vielleicht heute.
Edita Gruberová

Die Musik soll ergreifen

Mit ihren Belcanto-Tönen hat sie uns die Seelenräume ihrer Heldinnen geöffnet – die Trauer, die Wut, die Leidenschaft und die abgrundtiefe Verzweiflung. Und bei diesen Gelegenheiten ist auch Edita Gruberová auf der Bühne in andere Sphären abgehoben. In dieses Reich der "öffentlichen Einsamkeit", wie sie diesen Moment selber beschrieben hat – wenn sie der Stille zuhört, die sie im Zuschauerraum während des Singens wahrnimmt: "Und da weiß ich: Das Publikum hat‘s begriffen und ist ergriffen. Und darum geht es: Die Musik soll ergreifen."

Mit dem berühmtesten dieser Frauenschicksale hat sich die Gruberová lang Zeit gelassen – Bellinis "Norma". Denn diese Geschichte, sagt sie, kann man nicht mit 30 oder 35 singen. Sie war fast 60 Jahre alt.

Jetzt trau‘ ich mich zu sagen, dass der Bellini das für mich geschrieben hat. Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit.
Edita Gruberová

Es war keine Unbescheidenheit. Es war das Wissen um das eigene Können, ihre stupende Technik, auf der sie alles aufbauen konnte. Die Gruberová musste sicher sein, dass sie die Rolle in allen Facetten durchdrungen hatte, bis sie sie auf der Bühne präsentierte.

Unerfüllter Wunsch

Edita Gruberovás Abschied im Münchner Nationaltheater | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl Ein Wunsch ist dieser Ausnahmekünstlerin, der alles gelungen ist, nicht erfüllt worden: die großen Frauenrollen von Leoš Janáček zu singen: "Ja, das bedaure ich sehr. Dass meine Stimme nicht diese Farbe hat, dieses Timbre, das mich eine Jenůfa singen ließe."

Mit einem Triumph und 58 Minuten Schlussapplaus hat sich Edita Gruberová im März 2019 mit 72 Jahren im Münchner Nationaltheater von ihrem Publikum verabschiedet: mit der Elisabetta in Donizettis "Roberto Devereux". Es war die hinreißende Abdankung einer Königin.

Radio-Tipps

Zum Tod von Edita Gruberová widmet BR-KLASSIK der Sängerin drei Sondersendungen: die Klassik-Stars am Mittwoch, 20. Oktober um 18:05 Uhr, KlassikPlus am Donnerstag, 21. Oktober um 19:05 Uhr sowie Après-midi am Sonntag, 24. Oktober um 13:05 Uhr.

Sendung: "Allegro" am 19. Oktober 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK