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Premiere in Stuttgart ohne Serebrennikov Mitarbeiter der Oper fordern Freiheit für den Regisseur

Die Premiere von "Hänsel und Gretel" an der Stuttgarter Oper am Sonntag fand ohne Kirill Serebrennikov statt. Der Regisseur steht seit Monaten in Russland unter Hausarrest. Am Premierentag protestierten die Mitarbeiter der Oper gegen das Kommunikations- und Arbeitsverbot für Serebrennikov und hängten ein Banner mit der Aufschrift "Free Kirill" an der Fassade des Opernhauses auf. Intendant Jossi Wieler trug ein T-Shirt mit dieser Aufschrift samt Porträt des Künstlers.

Bildquelle: picture alliance / Ramil Sitdikov/Sputnik/dpa

"Das kommt einem Berufsverbot gleich, was über Serebrennikov verhängt wird - das ist schrecklich", sagt Jossi Wieler, Intendant der Stuttgarter Oper. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnete das Arbeitsverbot für den in Moskau im Arrest sitzenden Regisseur Kirill Serebrennikow als "skandalös".

Bis zuletzt hatte man gehofft, dass Kirill Serebrennikov wenigstens zur Premiere seiner Inszenierung von "Hänsel und Gretel" würde anreisen dürfen. Doch wie russische Medien am Mittwoch bekannt gaben, wurde Serebrennikovs Hausarrest in Moskau um drei weitere Monate verlängert - bis zum 19. Januar 2018. "Die Verlängerung des Hausarrestes beobachte ich mit Sorge und zunehmender Beunruhigung", sagte Kretschmann einer Mitteilung des Staatsministeriums zufolge.

Keine Reisegenehmigung für Serebrennikov

Vor Gericht hatte der 48-Jährige noch darum gebeten, ihn wenigstens für einige Tage freizulassen - "wenn nötig, unter den Läufen von Kalaschnikow-Maschinenpistolen". Dann hätte Serebrennikov zumindest zur Premiere nach Stuttgart reisen können. Doch sein Vorschlag fand kein Gehör. An der Oper Stuttgart fallen die Reaktionen darauf entsprechend heftig aus: "Wir können das nicht verstehen, sind wütend und traurig", so Wieler. Er sieht das Vorgehen der Moskauer Justiz als politisch motiviert.

Seit Monaten wird Kirill Serebrennikov in seiner Heimat unter Hausarrest festgehalten. Ihm wird vorgeworfen, staatliche Fördergelder unterschlagen zu haben. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm zehn Jahre Haft.

Premiere anders als geplant

Intendant Jossi Wieler | Bildquelle: Martin Sigmund Trotz der widrigen Umstände hat die Premiere am 22. Oktober in Stuttgart stattgefunden. Allerdings wurde auf der Bühne etwas ganz anderes gezeigt als ursprünglich geplant. Das Opernteam stellte mit dem Material, das bei den Vorarbeiten entstand, einen ganz speziellen Abend zusammen - unter dem Titel "Ein Märchen von Hoffnung und Not, erzählt von Kirill Serebrennikov". Der Abend sollte dem festgehaltenen Regisseur gewidmet werden und auch in einer Retrospektive bisherige Arbeiten von Kirill Serebrennikov präsentieren. Die Musik von Engelbert Humperdinck zur Oper wurde komplett aufgeführt. Dabei gehe es aber nicht nur um das Märchen, sondern auch um den Märchenerzähler, der bei seiner Erzählung unterbrochen wurde, erläutert die Dramaturgin Ann-Christine Mecke. Im Mittelpunkt stehe ein eigens für die geplante "Hänsel und Gretel"-Inszenierung in Ruanda gedrehter Spielfilm sowie eine Dokumentation dieser Dreharbeiten.

Serebrennikov soll "Hänsel und Gretel" selbst komplettieren

Die Stuttgarter Oper will dem in Russland unter Hausarrest stehenden Regisseur Kirill Serebrennikov ermöglichen, seine "Hänsel- und Gretel"-Produktion selbst zu vollenden. Bis dahin will Intendant Jossi Wieler die Fassung erst einmal auf Eis legen und nicht bearbeiten.

Signal für die Freiheit

Wieler hofft, dass Serebrennikov seine Ideen eventuell in der Spielzeit 2018/19 nachträglich auf die Bühne bringen kann. Die Entscheidung, die Inszenierung nicht durch andere vollenden zu lassen, sieht Wieler als ein Signal für die Freiheit. Es sei wichtig, auf den Fall Serebrennikov weiter aufmerksam zu machen, sagte Wieler im Interview mit BR-KLASSIK. Serebrennikov werde die Freiheit der Kunst genommen, er werde mundtot gemacht, so Wieler.

Das ist ein schlimmes Zeichen für das, was in Zukunft weiter noch in Russland passieren könnte.
Intendant Jossi Wieler im BR-KLASSIK-Interview

Serebrennikov solle ein richtiger Prozess gemacht werden, anstatt ihn mit fadenscheinigen Begründungen als Verbrecher vorzuführen, forderte Wieler.

Komplizierte Kommunikation

Momentan kommuniziert die Stuttgarter Oper mit Serebrennikov über dessen Anwalt. Ganz ohne diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme wäre es schwierig geworden, das Stück überhaupt auf die Bühne bringen zu können. "In den entscheidenden Festlegungen haben wir uns die Autorisierung von ihm geholt", sagt Dramaturgin Ann-Christine Mecke und begründet: "Wir wollen ja auch nichts machen, was ihm nicht gefällt."

Dass eine Opernproduktion zu solch einem Politikum werde, habe sich Intendant Jossi Wieler zuvor nicht vorstellen können, sagte er im Gespräch mit BR-KLASSIK. Für ihn sei es nun wichtig, Haltung zu zeigen. Kirill Serebrennikov sei einfach ein Künstler, der die Gesellschaft hineinhorche und Dinge, die es dort im Verborgenen gebe, sicht- und hörbar mache. Etwa, wenn er als Theaterregisseur Figuren erfinde. Und das wolle man in Russland offensichtlich nicht sehen und nicht hören.

Welle des Protestes

Serebrennikovs Hausarrest bedeutet eine weitgehende Kontaktsperre: Er darf kein Internet nutzen und keine Post verschicken. Die Verhaftung des Regisseurs hatte eine Welle der Empörung in der russischen und internationalen Kulturszene ausgelöst. Internationale Künstler haben die russische Staatsanwaltschaft in einem offenen Brief aufgefordert, die Strafverfolgung einzustellen.

Sendung: Allegro am 19.10.2017, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK.