Seit seiner Gründung vor zehn Jahren hat sich das Baltic Sea Philharmonic von einem Jugendensemble zu einem gefeierten Profi-Orchester entwickelt. Sein Bezug zum Meer war auch fürs Programm "Waterworks" inspirierend, erzählt der aus Estland stammende Dirigent Kristjan Järvi. Neben Händels "Wassermusik" spielt das Baltic Sea Philharmonic beim Konzert in Bad Kissingen am 9. Juli auch Philip Glass' "Aguas da Amazonia".
BR-KLASSIK: Kristjan Järvi, Baltic Sea Philharmonic hat sich nach einem Meer benannt. Schlägt sich das Element Wasser auch im Programm nieder?
Kristjan Järvi: Das Meer ist für dieses Orchester tatsächlich die Quelle seiner Kraft. Es ist nicht nur Symbol für seine Einheit, sondern auch für seine Kraft. Das vermitteln wir auch in unserem Programm "Waterworks". Und Wasser ist nun mal die Quelle des Lebens. Ohne Wasser geht gar nichts.
BR-KLASSIK: Im Orchester sind Musiker und Musikerinnen aller Anrainerstaaten des Baltischen Meeres vertreten. Ist das ein Aufnahmekriterium, um überhaupt mitspielen zu dürfen?
Kristjan Järvi: Wir haben natürlich auch Musiker aus Italien, auch aus Chile oder China. Es ist ein internationales Orchester. Die Bedingung ist, dass man in einem der baltischen Länder lebt oder arbeitet. Und da wir alle Einwanderungsländer sind, ist jeder, der dort lebt oder irgendwie aktiv ist, herzlich bei uns willkommen.
BR-KLASSIK: Dieses Orchester gibt es im Jahr 2018 das zehnte Jahr. Wie ist das vom Anfang bis heute - was hat sich verändert?
Es ist ein bisschen wie bei einer Rockband, die neues Repertoire gelernt hat und das sehr gut beherrscht. Dann beginnt erst der Spaß. Denn dann kann man erst wirklich anfangen, damit herumzuspielen, mit der Art, wie man’s präsentiert. Das Auswendig spielen macht also auch die Improvisation möglich. Und davon abgesehen wollen wir auch eine Art Gesamtkunstwerk präsentieren, wo wir das Publikum in eine neue Dimension mitnehmen. Mit Lichtshow, Geräuschen, Live-Elektronik, 3D-Projektionen und so weiter. Unser Konzert Waterworks ist so ein Projekt.
BR-KLASSIK: Die Musiker spielen auswendig, also ein bisschen wie bei einer Rockband. Für das Publikum ist das im ersten Moment doch schon ein bisschen irritierend. Dirigieren Sie denn auch auswendig?
Kristjan Järvi: Natürlich, sonst wäre es ja blöd. Aber ich dirigiere normalerweise immer ohne Partitur. Doch die Orchester können eigentlich nicht ohne Noten. Die können vielleicht mal ohne Dirigent spielen – aber nicht ohne Noten vor sich. Die sind sowas wie ihr Rettungsring. Aber wenn man den mal los wird gelangt man auf eine ganz neue Ebene. Aus meiner Sicht ist das die völlige Emanzipation. Und genau daran arbeiten wir gerade. Dieses Gefühl, ohne jede Grenze zu agieren – sei die nun mentaler Art, emotional oder in der Kommunikation. Das müssen wir alles überwinden. Ein Sportler bei den Olympischen Spielen zerbricht sich auch nicht den Kopf darüber, was er nicht kann. Der hat das Ziel, seine Grenzen zu überwinden. Und genau das ist auch unsere Haltung.
Sendung: "Leporello" am 4. Juli 2018, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK