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Kritik - Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen 2020 Große Geste

18 Jahre ist der große Durchbruch von Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen inzwischen her. Seitdem ist sie nicht nur auf der ganzen Welt unterwegs, sondern kehrt auch regelmäßig nach Salzburg zurück. Zuletzt am Dienstagabend mit russischen Arien und Duetten. Unser Kritiker findet: Netrebko sang toll. Und konnte trotzdem nicht ganz überzeugen.

Bildquelle: Franz Neumayr

Effektvolle Auftritte kann Anna Netrebko einfach: Im langen hellblauen Kleid kommt sie als Lisa aus Tschaikowskys Oper "Pique Dame" auf die Bühne. Sie schaut nicht ins Publikum, wendet sich stattdessen ab und singt. Ihre Stimme hallt von den Wänden wie aus der Ferne wieder – ein schöner Effekt im Großen Festspielhaus von Salzburg.

Anna Netrebko mit russischem Repertoire

Es ist ein Abend, an dem in Anbetracht dieser Zeiten vieles überraschend groß ist: Im Publikum ist immerhin jeder zweite Platz besetzt ist. Und auch auf der Bühne wird nicht gekleckert: Anna Netrebko hat – wie immer – ihren Mann Yusif Eyvazov dabei, dazu noch die ungarische Mezzosopranistin Szilvia Vörös. Zur Begleitung ist das Mozarteumorchester Salzburg in großer Besetzung gekommen, dirigiert von Mikhail Tatarnikov. Auf dem Programm stehen Arien, Duette und Instrumentalstücke aus Opern und Balletten von Peter Tschaikowsky. Große russische Romantik also.

Nicht durchgängig groß ist allerdings die musikalische Leistung. Am ehesten konnte Netrebko selbst glänzen: Ihr Ton ist absolut fokussiert, ihre Diminuendi sitzen perfekt, sie klingt immer klar. Das kann Netrebko besonders in der berühmten Briefszene der Tatjana aus "Eugen Onegin" zeigen. Auch das Orchester passt sich sehr gut in Netrebkos Sopran ein. Allerdings: So richtig berührend gelingt es ihr nicht. Sie hat zwar große Strahlkraft – emotional ergreifender haben es aber schon andere gesungen, etwa der neue Salzburg-Star Asmik Grigorian.

Eyvazov und das Mozarteumorchester können nicht überzeugen

Netrebkos Ehemann Yusif Eyvazov macht seine Sache ordentlich, mit seiner Frau kann er allerdings nicht mithalten. Gerade in der Höhe klingt er gepresst, es fehlt an Klang in der Stimme. Wirklich schade, dass man die beiden nur als Doppelpack bekommt. Und auch das Mozarteumorchester macht nicht die beste Figur: Das "Rosen-Adagio" aus "Dornröschen" nimmt Tatarnikov sehr schwerfällig, obwohl es sich hier eigentlich um tänzelnde Ballettmusik handelt. Aber Pauke und tiefes Blech lärmen mit mehr Pathos als auf einer Militärparade von Vladimir Putin. Hier ist viel große Geste im Spiel, so auch in der Introduktion aus "Pique Dame": Da nimmt Tatarnikov die Bögen sehr groß, alles wird weit bis zur Ermüdung gedehnt.

Am Ende des Konzertes steht das große Duett aus Tschaikowskys Oper "Iolanta". Der letzte gemeinsame Ton von Tenor und Sopran ist eigentlich ein großer Moment, beide müssen volle Kraft geben. Hier möchte man allerdings lieber weghören, Eyvazov und Netrebko finden keinen harmonischen Zusammenklang.

Das Publikum zeigt sich dennoch begeistert. Der Applaus ist groß. Und ganz klar, Anna Netrebko ist eine tolle Sängerin – wenn ein Konzert allerdings so endet, bleibt es letztlich unbefriedigend.

Sendung: "Allegro" am 26. August 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK