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Kritik - Zimmermanns "Soldaten" in Nürnberg Mammutoper als Kammerspiel

Zum 100. Geburtstag von des Komponisten Bernd Alois Zimmermann zeigt das Staatstheater Nürnberg die Oper "Die Soldaten". Das Stück nach einem Text des Sturm- und Drang-Autors Jakob Michael Reinhold Lenz sprengt alle Dimensionen. Regisseur Peter Konwitschny, der in Nürnberg in den letzten Jahren unter anderem "Boris Godunow“ und "La Traviata" auf die Bühne gebracht hat, erfüllt sich mit den "Soldaten" auch einen ganz persönlichen Traum.

Kritik - "Die Soldaten" am Staatstheater Nürnberg: Musikalisch hochkarätig und szenisch anregend

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Was für ein Kontrast: Im Orchestergraben tobt ein Orkan - laut, krachend, chaotisch. Dicht an dicht sind die Instrumente hineingestopft, trotzdem passen nicht alle hinein, ein Teil wird sogar vom Probensaal per Lautsprecher übertragen. Dagegen auf dem großen, weiten Bühnenraum: gähnende Leere. Ganz hinten in der Ferne eine weiße Wand, davor ein paar Schlaginstrumente. Sonst nichts. Überbordende Klänge, szenische Reduktion - der Auftakt zu einem ungewöhnlichen Theaterabend.

Archaische Männerwelt unter Bankern

Peter Konwitschny und sein Bühnenbildner Helmut Brade verwandeln die Mammutoper fast in ein Kammerspiel. Wenige wechselnde Requisiten genügen: Eine grüne Wand deutet ein Zimmer an, ein paar Bäume einen Stadtpark. Die Soldaten sind hier Banker in Anzug und Krawatte, statt Gewehre haben sie Laptops, ihre Freizeit verbringen sie nicht vor dem Kasernentor, sondern vor dem Fußballtor. Trotzdem: eine Männerwelt, im Kern archaisch und grausam. Marie wird ihr Opfer, ihr Spielball, durchgereicht von einem zum nächsten. Susanne Elmark gestaltet den Abstieg von der naiven Bürgerstochter zur Prostituierten vor allem als inneren Abstieg. Ihre atemberaubenden, luxuriösen Koloraturen erweisen sich als Pendant zur oberflächlichen Verführungskraft der Konsumwelt, der sie schließlich erliegt.

Simultanszene im Bett

Genial, wie Konwitschny die berühmte Simultanszene des zweiten Akts verdichtet. Eigentlich laufen da drei Handlungsstränge gleichzeitig ab, und die meisten Regisseure weiten hier die Bühne bis an ihre Grenzen aus, um die verschiedenen Räume und Zeitebenen sichtbar zu machen. Nicht so Konwitschny. Er führt im Gegenteil alle Handlungsstränge auf dem kleinstmöglichen, intimsten Ort zusammen: einem Bett. Und siehe da: Zimmermanns Theorie von der Kugelgestalt der Zeit, der Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wird plötzlich ganz sinnlich erfahrbar. Wie in einem surrealen Traum steigen die Figuren auf, wie in einer Vision erlebt man, was erst am Ende der Oper tatsächlich geschehen wird: Dass Maries betrogener Verlobter Stolzius seinen Nebenbuhler tötet. Und dass der Täter eigentlich ein Opfer ist, lässt der warme Bariton von Jochen Kupfer sehr eindringlich erkennen, während sein Gegenpart, der aalglatte Desportes, von Uwe Stickert mit lyrischem Stimmglanz aufpoliert wird.

Die Bilder der Inszenierung

Finale im Suchscheinwerfer

Deutlich schwerer tun sich Konwitschny und Dirigent Marcus Bosch mit dem letzten Akt, in dem Zimmermann das Gefüge von Raum und Zeit und die Grenzen der Gattung Oper durch komplexe Simultanszenen endgültig auseinanderreißt. Konwitschny lässt dafür das Publikum eigens auf die dunkle Bühne umziehen, man hört erstmal den Text mit verteilten Rollen vorgelesen, dann kreist ein Suchscheinwerfer über die Menge und  Marie irrt bettelnd zwischen den Zuschauern hindurch. Der Funke aber springt nicht über, der Überwältigungseffekt bleibt aus – nicht zuletzt deshalb, weil das Orchester gerade in der aufwändigsten Szene nicht live musiziert, sondern vom Band über blecherne Lautsprecher zugespielt wird.

Musikalisch hochkarätig

Das ist schade. Denn eigentlich wird die Staatsphilharmonie Nürnberg der komplexen Partitur vorzüglich gerecht – gerade dort, wo Dirigent Marcus Bosch eben nicht auf die Tumult-Karte setzt, sondern das Bühnengeschehen filigran und mit feinem Strich nachzeichnet. Die flüssigen Tempi tragen dazu bei, dass die anspruchsvollen Gesangspartien stets organisch und sprachnah wirken. Unterm Strich ist es also ein musikalisch hochkarätiger und szenisch anregender Abend – auch wenn das pseudo-avantgardistische Experiment am Schluss einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Weitere Termine:

"Die Soldaten" am Staatstheater Nürnberg sind noch am 20. und 25. März sowie am 8., 14 und 23. April 2018 zu erleben.
Die Vorstellung am Dienstag, 20. März, überträgt BR-KLASSIK live ab 19.30 Uhr.

Sendung: Allegro am 19.03.2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK