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Salzburger Festspiele 2018 - Markus Hinterhäuser im Gespräch Beethoven als Abenteuer

Die Erwartungen waren hoch, als Markus Hinterhäuser 2017 seine erste Saison als Festspiel-Intendant in Salzburg vorstellte. Der Neustart in Salzburg gelang und erfuhr bei Publikum und Presse großen Zuspruch. Nun starten die Salzburger Festspiele am 20. Juli in ihre zweite Runde mit Hinterhäuser als Intendant. Ein Gespräch über unkontrollierbare Macht auf der Opernbühne, über Treue zu Künstlern und einen besonders abenteuerlustigen Gast.

Bildquelle: picture alliance / Robert Newald / picturedesk.com

BR-KLASSIK: Können Sie uns etwas zum Programm der diesjährigen Salzburger Festspiele erzählen – gibt es da so etwas wie einen roten Faden?

Markus Hinterhäuser: Es ist eine interessante Konstellation an Opern, und das könnte man als Fortführung des letzten Sommers sehen – als Fortsetzung einer Erzählung. Wir haben uns im letzten Jahr 2017 sehr mit dem Phänomenen der Macht beschäftigt, also in Mozarts "Titus", Bergs "Wozzeck" und Schostakowitschs "Lady Macbeth" – aber mit Aspekten der Macht, die unmittelbar mit einer Frage nach der Systematik der Macht verbunden sind. Und in diesem Jahr bleiben gewisse Fragen immer noch bestehen: Macht, allerdings nicht mehr systembezogen, sondern Macht mit einem obsessiven Charakter – die aus einem herausbricht, die auch gefährlicher sein kann, als wenn sie in einem System eingefasst ist. Wenn wir beispielsweise "Salome" nehmen – das ist für mich immer noch eines der schockierendsten Stücke der ganzen Literatur. Wenn wir "Pique Dame" nehmen, diese Obsession, die in dieser Oper manifest wird, wenn wir die Amoralität von "L'Incoronazione di Poppea" nehmen: Das ist schon starker Tobak, da geht es wirklich um etwas, was nicht mehr zu kontrollieren ist, wo etwas vital und gleichzeitig zerstörerisch den Menschen verlässt.

Die "Zauberflöte" als Mikroskop

Und am Anfang setzen wir die "Zauberflöte", und kann man sich natürlich fragen, warum? Ich würde mir wünschen, dass die "Zauberflöte" fast wie ein Mikroskop wirkt. Das Wunder dieser Oper, das Wunder Mozarts ist ja, dass es auch dort diese ganzen antagonistischen Kräfte gibt: das Helle und das Dunkle, die Ratio und den Irrsinn – und dann dieses fast utopische Gleichgewicht, das Mozart damit herstellt. Diese Prüfungen, die man durchschreiten muss, diese tiefen Menschheitsfragen, die Mozart in der "Zauberflöte" stellt: Wenn das eine Art Mikroskop sein könnte für das Kommende, dann wäre es mir sehr recht.

Würde ich jedes Jahr versuchen, das Rad neu zu erfinden, dann wäre ich ganz falsch beraten.
Markus Hinterhäuser

Persönliche Verbindungen schaffen Identität

BR-KLASSIK: Sie scheinen jemand zu sein, der die Treue zu seinen Künstlern sehr hoch hält. Immer wieder sind Musiker oder Künstler bei Ihnen zu Gast, die schon im Vorjahr in Salzburg waren oder die Sie aus anderen Zusammenhängen her kennen. Ist es wichtig, diese persönliche Verbindung zu haben?

Teodor Currentzis | Bildquelle: picture-alliance/dpa Markus Hinterhäuser: Das ist definitiv wichtig. Ich glaube, dass das Identität schafft. Würde ich jedes Jahr versuchen, das Rad neu zu erfinden, dann wäre ich, glaube ich, ganz falsch beraten. Ich wünsche mir eine Gemeinschaft von Menschen, die wissen, was sie hier auf den Salzburger Festspielen machen können, und dass sie es gemeinsam im Moment der Entstehung auch mit mir zusammen entwickeln können. Ich finde das schön. Außerdem glaube ich, dass die Salzburger Festspiele, die so viel in einem Sommer zu bewältigen haben – 90 Konzerte, sechs Opernproduktionen, Schauspiel, Symposien und so weiter –, eine Form brauchen. Diese Form herzustellen, ist nicht ganz einfach, und ein Teil dieser Herstellung hat auch mit den beteiligten Künstlern zu tun.

Teodor Currentzis und Beethoven

BR-KLASSIK: Einer dieser Künstler ist Teodor Currentzis, der im letzten Jahr mit MusicAeterna Mozarts "Clemenza di Tito" gemacht hat. Dieses Jahr kommt er mit Beethoven – und zwar mit dem Zyklus aller Symphonien. Was fasziniert Sie denn an diesem Musizierstil?

Markus Hinterhäuser: Ich habe von Currentzis bis jetzt zwei Beethoven-Symphonien gehört. Das war im Wiener Konzerthaus, und Currentzis Interpretation gehört wahrscheinlich im Moment zum Wichtigsten und Dringlichsten, was man zu Beethoven sagen kann. Es gab auf den Salzburger Festspielen in den letzten Jahren eher wenige Beethoven-Zyklen. Zu Beginn der neunziger Jahre hat Nikolaus Harnoncourt das gemacht, dann habe ich als Konzertchef der Festspiele die Kammerphilharmonie Bremen mit Paavo Järvi nach Salzburg geholt; ich glaube, das war 2008, und es war fantastisch. Und jetzt habe ich eben Teodor Currentzis und sein russisches Orchester eingeladen – zwei Jahre vor dem großen Beethoven-Jahr, in dem man so viel Beethoven wird hören müssen, dass man vielleicht sogar innerlich kapituliert.

Ich freue mich sehr, dass Currentzis kommt; er ist im schönsten Sinne des Wortes ein hoch origineller Musiker, der sich ständig auf Entdeckungsreise begibt und dabei ein großes Risiko eingeht. Er hat auch durchaus einige Tricks, die muss ein Dirigent haben. Aber diese unbedingte Lust, etwas zu finden, und dies mit einem Orchester von einer solchen Klasse – das ist für mich ein großes Abenteuer, so etwas zwei Jahre vor dem offiziellen Beethoven-Jahr zu machen. 2020 werde ich dann ziemlich sicher keinen Beethoven-Zyklus in Salzburg anbieten.

Sendung: "Leporello" am 17. Juli 2018 ab 16:05 in BR-KLASSIK