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Kritik – "Salome" von Richard Strauss an der Bayerischen Staatsoper Geschlechterkampf, Sex und Tod?

Salomes Tanz ist ebenso berühmt wie gefürchtet. Die Schlüsselszene in der Oper von Richard Strauss stellt die Sängerinnen vor mindestens ebenso große Herausforderungen wie die Regisseure. Da lauern Orientklischees und verschämt erotische Gymnastikübungen. Bei Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper in München wird ein Totentanz daraus.

Bildquelle: © Wilfried Hösl

Der Regisseur hat ein Problem mit der Hauptfigur. Irgendwie kann man Krzysztof Warlikowski ja verstehen: Salome, diese männermordende und dazu auch noch schlecht erzogene, nur leider unverschämt gutaussehende femme fatale – ist diese Figur nicht eine Ausgeburt männlicher Projektionen? Doch, klar, ist sie. Warlikowski findet das gestrig. Deshalb verschiebt er den Fokus: weg von Salome und ihrer perversen Lust, hin zu ihrer Umwelt. Und die ist jüdisch. Schließlich haben wir es mit einem biblischen Stoff zu tun.

Bilder der Inszenierung

Ein Gedankenexperiment

Bildquelle: © Wilfried Hösl Warlikowski verlegt die Handlung in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Eine Gruppe von frommen Ostjuden versteckt sich in einer Talmudbibliothek, vermutlich im deutsch besetzten Polen. Man spielt sich Theaterszenen vor, seltsamerweise zunächst unterlegt mit Mahlers "Kindertotenliedern", gespielt aus der Konserve. Und dann führen die Juden in ihrem Versteck eben "Salome" von Oscar Wilde auf. Es ist zwar beliebig unwahrscheinlich, dass verfolgte fromme Juden ausgerechnet dieses unfromme Stück spielen – aber gut, das ist ja gerade das Interessante daran: eben ein Gedankenexperiment.

Jüdische Identität und Holocaust als Filmzitate

Machen wir es also probehalber mit und lesen die Packungsbeilage. Mit Hilfe des Programmhefts lassen sich die vielen Filmzitate entschlüsseln, die sich mit jüdischer Identität und Holocaust auseinandersetzen. Man lernt dabei einiges über Filmgeschichte. Auch manche rätselhafte Szenen der Inszenierung versteht man. Nur das Stück versteht man dadurch keineswegs besser. Denn was bei diesem Gedankenexperiment herauskommt, ist, dass sich die Oper eigentlich um etwas anderes dreht. Nämlich – welche Überraschung – um die Hauptfigur und ihre männlichen Gegenspieler, um Geschlechterkampf, Sex und Tod.

Warlikowskis Inszenierung geht am Kern vorbei

Bildquelle: © Wilfried Hösl Denn auch wenn Regisseur Warlikowski noch so viele jüdische Kippas, Gebetsschals und Davidssterne aufbietet – irgendwann kommt Salomes Tanz. Und bei dieser unter Regisseuren gefürchteten Stelle kommt auch Warlikowski nicht am eigentlichen Kern vorbei. Und so lässt er Marlis Petersen, die die Salome mit großartiger Bühnenpräsenz als lässige 30er-Jahre-Schönheit spielt, einen erotischen Pas de deux mit einem totenschädeligen alten Mann tanzen. Am Schluss stehen dann die deutschen Besatzer vor der Tür, und alle Juden nehmen Zyankali. An der guten Absicht des Regisseurs gibt es keinen Zweifel. Nur bleibt die ganze Holocaust-Geschichte völlig unverbunden mit der erotischen Obsession, von der die Oper erzählt. Was Salomes sexuell aufgeladene Mordlust mit dem Mord an den europäischen Juden zu tun haben soll, bleibt uneingelöst. Und so geht diese Inszenierung trotz ihrer assoziativen Raffinesse auf interessante Weise daneben.

Petrenko sorgt für musikalischen Hochgenuss

Musikalisch war der Abend klasse. Kirill Petrenko holte aus dem Staatsorchester betörende Klangfarben heraus, legte das Nervengeflecht der Motive bloß, drang mit der sinnlichen Energie dieser Musik vom ersten bis zum letzten Takt unter die Haut. Wolfgang Koch muss den Jochanaan als alten Zausel spielen. Er singt kraftvoll, auch wenn ihm ein wenig das prophetische Charisma abgeht. Wunderbar dekadent ist der Herodes von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, stimmlich mit großartiger Präsenz gezeichnet. Marlis Petersen singt die Salome entgegen dem Klischee eher verhalten. Auch wenn man sich in der Höhe manchmal mehr Leuchtkraft wünscht, ist ihre Gesamtleistung fantastisch: Sie gestaltet schauspielerisch und stimmlich mit einer solchen Intensität, dass sie ganz selbstverständlich im Fokus steht – als Hauptfigur, bei der die Fäden zusammenlaufen, szenisch und musikalisch. Ein sinnlich starkes, unmittelbar überzeugendes Gegengewicht zur konzeptlastigen Regie.

Sendung: "Allegro" am 28. Juni 2019, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"SALOME" VON RICHARD STRAUSS

Bayerische Staatsoper
Premiere: 27. Juni 2019
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Regie: Krzysztof Warlikowski

Am 6. Juli 2019 gibt es die "Salome" bei "Oper für Alle".

Weitere Informationen auf der Website der Bayerischen Staatsoper