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"Salome" an der Bayerischen Staatsoper "Leben bedeutet einfach gar nichts"

Das Tor zur Moderne, so wird sie genannt, die "Salome" von Richard Strauss. Musikalisch ein nervös-flirrendes höchst experimentelles Werk. 1905 wurde die Oper uraufgeführt und, nach einigen Querelen, bald schon zum Publikumsliebling auf der Opernbühne. An der Bayerischen Staatsoper kommt jetzt eine neue "Salome" auf die Bühne: Krzysztof Warlikowski hat das Drama inszeniert, Kirill Petrenko dirigiert, Marlis Petersen verkörpert die Titelpartie. Premiere ist am 27. Juni. Am 6. Juli gibt es die "Salome" bei "Oper für Alle".

Bildquelle: © Wilfried Hösl

Der Beitrag zum Anhören

Salome ist sexy, hat haufenweise Verehrer und obendrein einen Stiefvater, der nach ihr lechzt. Sie aber hat sich in den Kopf gesetzt, nur einen ganz bestimmten Mann beglücken zu wollen. Der sitzt eingelocht in einer Zisterne, betet und isst Heuschrecken. Und ausgerechnet der lässt sich von ihren Reizen nicht betören. Bariton Wolfgang Koch gibt den Auserwählten, den Eremiten Jochanaan. "Das, was Salome verkörpert, lehnt er ja völlig ab, diese Körperlichkeit, die Sexualität", so Koch über diese Partie. "Trotzdem fühlt er sich angezogen, es ist auch ein innerer Kampf. Wo sie ihn fast rumkriegt, und er noch die Notbremse zieht. Er hat gerade noch die Kurve gekriegt. Beinahe hätte sie ihn umdrehen können."

Zurückgestoßen auf die jüdische Identität

Regisseur Krzysztof Warlikowski versetzt die Handlung in die 1940er-Jahre. Penibel hat er von allen Figuren die Patina an Klischees abgekratzt, die "Salome" in ihrer über hundertjährigen Operngeschichte angesetzt hat. Diese ursprüngliche Betrachtungsweise des Salome-Stoffs hat den erfahrenen Herodes-Sänger Wolfgang Ablinger-Sperrhacke überrascht: "Alle Figuren, die auf der Bühne vorkommen, sind Juden." Daraus ergibt sich für den Tenor ein vollkommen neuer und willkommener Ansatz: "Meine Figur Herodes ist sehr interessant, weil in dieser Inszenierung auch hineinspielt, inwieweit er ein assimilierter Jude aus der Kaiserzeit war, der durch diese antisemitischen Dinge zurückgestoßen wird auf seine jüdische Identität – so wie es bei Schönberg war, der ja 1933 zum Judentum zurückgekehrt ist."

Die Inszenierung in Bildern

Sinnlich erfahrbare zusätzliche Dimension

All diese Dinge geben dem Stück eine zusätzliche Dimension, die in dieser Inszenierung sinnlich erfahrbar ist. Staatsopernintendant Nikolaus Bachler sieht in der Reduktion auf das jüdische Milieu jede Menge Ansätze für Diskussionen: "Ich finde sehr spannend, in Deutschland, in Bayern, in München mit einem Werk von Richard Strauss, das mit dem Verhältnis von Judentum und Christentum ursächlich zu tun hat, [auf die Bühne zu gehen]. Ich glaube, wenn die Menschen darüber anhand der Figuren von Salome und Herodes sprächen, dann würde mich das sehr freuen."

Oper für Alle 2019

Am 6. Juli 2019 gibt es ab 20 Uhr die "Salome" im Rahmen von "Oper für Alle" live übertragen aus der Bayerischen Staatsoper kostenfrei auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater zu sehen.

Das Maß zu finden, ist die große Aufgabe.
Marlis Petersen über die Partie der Salome

Spagat ist notwendig

Marlis Petersen (Salome), Ensemble der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Wilfried Hösl Marlis Petersen (Salome), Ensemble der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Wilfried Hösl "Salome" ist die komplizierteste Oper von Richard Strauss. Musikalisch wagt der Komponist raffinierte Harmonien, eine expressive Instrumentierung und Dissonanzen, die einen immer wieder aufhorchen lassen. Marlis Petersen gibt ihr Rollendebüt als Salome. Die Sopranistin sieht sich vor eine Herausforderung gestellt: Auf der einen Seite will sie nach dem suchen, was "wirklich in der Partitur steht. Vom kindlichen Ausdruck bis hin zum Wahnsinn ist alles da." Gleichzeitig muss sie ökonomisch mit ihrer Stimme umgehen, "dass man den Schluss auch noch singen kann!" Marlis Petersen schätzt genau diesen Spagat, er erzeugt eine Spannung in Körper und Geist. "Mit Kirill Petrenko ist es schon auch so, dass man immer wieder zurückgerufen wird zur Kontrolle. Ja, das Maß zu finden, das ist die große Aufgabe."

Der Tod ist in der Oper vom ersten Bild an präsent.
Regisseur Krzysztof Warlikowski

Schlaflose Nächte für den Regisseur

Maßlos ist nämlich im Grunde alles an der Oper. Und so schafft der Salome-Stoff auch keine klar definierten moralischen Lager: Die Frage danach, wer böse ist und wer gut, bleibt unbeantwortet. Das hat dem Regisseur Krzysztof Warlikowski einige schlaflose Nächte bereitet. "In welcher Wirklichkeit befinden wir uns, die dem menschlichen Leben mit einer derartigen Verachtung begegnet? Leben bedeutet einfach gar nichts, es hat überhaupt keinen Wert!", erläutert Warlikowski sein Konzept. "Welches Umfeld also ermöglicht eine solche Respektlosigkeit gegenüber dem Leben? Der Tod ist in der Oper vom ersten Bild an präsent. Schon allein, wie Prinzessin Salome aussieht, wie aus einem Grab!"

Lebensechte Köpfung

Dickschädelig wie ein trotziges Kind fordert Prinzessin Salome den Tod von Jochanaan. Er wird also einen Kopf kürzer gemacht, damit sie endlich die Lippen des asketischen Propheten küssen kann. Regisseur Warlikowski hat sich in den Kopf gesetzt, diese berühmte Szene so realistisch wie möglich darzustellen. Modernste Technik kommt dafür zum Einsatz: Erst erfasst Chefmaskenbildner Norbert Baumbauer den echten Kopf des Sängers Wolfgang Koch als 3-D-Scan, daraus entsteht eine Büste und schließlich in der hauseigenen Werkstatt ein unverwüstlicher Schädel aus Silikon. In Kleinarbeit fertigen die Maskenbildnerinnen das Double an.

Meet and Greet mit dem eigenen Kopf

Beim ersten "Meet and Greet" zwischen Koch und Doppelkochkopf hat dann zumindest dem Sänger kurz der Atem gestockt: "Oh Gott, das ist ja wirklich mein Kopf! Das hat schon etwas sehr Grenzwertiges, etwas Gruseliges, den eigenen Kopf zu sehen!"

Sendung: "Allegro" am 26. Juni 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Zur Münchner "Salome"-Produktion

Richard Strauss:
"Salome"
Musik-Drama in einem Aufzug nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung

BR-KLASSIK überträgt die Premiere der "Salome" live im Radio ab 18:30 Uhr. 

München, Bayerische Staatsoper
Regie: Krzysztof Warlikowski

Bayerisches Staatsorchester
Leitung: Kirill Petrenko

Informationen zu Besetzung, Vorverkauf und Terminen erhalten Sie auf der Homepage der Staatsoper.

Kommentare (1)

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Dienstag, 02.Juli, 18:16 Uhr

Doc Marty

Brecht‘sche Verfremdung & Regie-Heimwerken

Mittlerweile ist es ja an der Staatsoper Tradition, dass Opernwerke von den Regisseuren nicht mehr gelesen werden, bevor die Dekonstruktion beginnt. Warlikowski kann sich, ganz Kenner seines Publikums, in München dennoch sicher sein, dass die Kasse klingelt, scheint doch gerade hier das Publikum eine diebische Freude daran zu haben, die Musik sehr gut, die Inszenierung jedoch grauenhaft zu finden. Die Oper als Gesamtkunstwerk ist kein leichtes Fach, also warum Musik, Schauspiel, Tanz, Kostüme und Bühne harmonisch vereinen? Wieviel leichter ist es - hier ganz Brecht, ja genau, das ist lange her, funktioniert am Münchner Haus aber immer noch vorzüglich - die Musik einfach zu ändern (der wunderbare Klarinettenauftakt ist hier nämlich verschwunden), die Bühne und die Kostüme in die zumindest hier immer noch gerne genommene Nazis-vs.-Juden Dichotomie zu zwängen (die hier nicht wirksam passt) und die Schauspieler zu Nebenfiguren um eine stimmlich uninspirierte Salome zu degradieren.

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