BR-KLASSIK

Inhalt

100 Jahre Salzburger Festspiele Unvergessliche Produktionen der Festspielgeschichte

Mit Wolfgang Amadeus Mozarts "Così fan tutte" haben die Salzburger Festspiele 2020 einen Volltreffer gelandet. Dabei war die Neuproduktion in Corona-Zeiten kurzfristig aus dem Boden gestampft worden. Sie wird in Erinnerung bleiben, genauso wie andere Sternstunden der Festspielgeschichte. Zum Jubiläum erinnern sich BR-KLASSIK-Redakteure an beeindruckende Produktionen der vergangenen dreißig Jahre.

Bildquelle: © SF Kolarik

2020: Mozarts "Così fan tutte" (Christoph Loy)

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Manchmal entsteht spontan Großes. Eigentlich hätte Christof Loy bei den diesjährigen Salzburger Festspielen "Boris Godunow" inszenieren, Joana Mallwitz die "Zauberflöte" dirigieren sollen – zu viel Chor, zu viele Solisten für Corona-Zeiten. Kurzfristig hat Intendant Markus Hinterhäuser dann eine Neuproduktion von "Così fan tutte" aus dem Boden gestampft – Jubiläumsfestspiele ohne Mozart, das war für Hinterhäuser einfach nicht denkbar. Was Loy mit einem hochmotivierten, blutjungen Ensemble und minimalem Aufwand auf die leere Bühne im Großen Festspielhaus gezaubert hat, grenzt an ein Wunder. Ebenso, was da an körperlicher Nähe, an Umarmungen und Küssen möglich ist – und lustvoll ausgelebt wird. Von den Sehnsüchten und Schmerzen der jungen Leute kündet vor allem die Musik. Und die liegt bei Joana Mallwitz und den famosen Wiener Philharmonikern in besten Händen. Das ist lebendigster Mozart, kammermusikalisch empfindsam und vital pulsierend. Joana Mallwitz ist die erste Frau, die bei den Salzburger Festspielen eine Premiere dirigiert hat – Zeit wurde es!
Fridemann Leipold

Bilder von der Inszenierung

2018: Strauss' "Salome" (Romeo Castellucci)

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz Sie war einfach wahnsinnig gut: Asmik Grigorian sang, verkörperte, war Salome. Mühelos überstrahlte ihr heller Sopran alle Strauss’schen Orchesterexzesse. Im Piano hatte ihre Stimme verführerische Leichtigkeit. Aber wenn sie dann im tiefsten Register den Kopf des Jochanaan forderte, ging das durch Mark und Bein. Und am Morgen nach dieser fulminanten Premiere war ein neuer Star geboren. Das lag aber auch an der exzellenten Orchesterleistung der Wiener unter Franz Welser-Möst. Unvergesslich bleibt der Abend nicht zuletzt wegen der psychologisch eindringlichen Regie von Romeo Castellucci: ästhetisch und unheimlich, pervers und diskret, verrätselt und sinnlich. Eine Art Kopfkino des Begehrens, das virtuos mit Sichtbarem und Unsichtbarem, Träumen und verschobenen Symbolen jonglierte.
Bernhard Neuhoff

Bilder von der Inszenierung

2013: Verdis "Don Carlos" (Peter Stein)

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Der "Don Carlos" von Dirigent Antonio Pappano 2013 war der international vielleicht gelungenste Beitrag zum damaligen Verdi-Jahr. Welche musikalische Reife und Motivationskunst des Londoner Musikchefs an der Salzach, für den die formidablen Wiener Philharmoniker ihren Ruf als bestes Opernorchester der Welt rechtfertigten! In Glanzform zeigte sich das homogene Sängerensemble mit Top-Star Jonas Kaufmann in der Titelpartie, umgeben von der atemberaubenden Anja Harteros als Elisabeth. Auch Thomas Hampson als Posa und Matti Salminen als Philipp gelangen bewegende Rollenporträts. Einen Zug ins Großartige bot die (bei einem Stück wie diesem durchaus willkommene) relativ konventionelle Regieästhetik von Theaterlegende Peter Stein.
Volkmar Fischer

Bilder von der Inszenierung

2001: Mozarts "Le nozze di Figaro" (Christoph Marthaler)

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Unvergesslich die "Figaro"-Inszenierung von Christoph Marthaler, dem die Ausstatterin Anna Viebrock 2001 ein geniales heutiges Setting baut, auf dem die Paare in spe aufeinander losgehen können: das heruntergekommene Foyer eines Standesamts. Und apart oben drüber hockt im Dachboden der famose Keyborder Jürg Kienberger als personifiziertes Rezitativ und alter Bekannter vieler Marthaler-Projekte. Anstelle des Continuo-Spiels konterkariert er den Erzählfluss und sorgt für überzeugende Einlagen: mal scheppert Blech, mal tröten Synthesizer-Trompeten irgendwelche Schlussfloskeln, mal spielt er Glasharfe oder jodelt. Und dazu kommt unter der Leitung von Sylvain Cambreling ein hervorragendes Sänger-Ensemble: Angela Denoke als Gräfin, Christiane Oelze als quirlige Susanna, Lorenzo Regazzo als Figaro und Peter Mattei als Graf – und schließlich Christine Schäfer: ihr Cherubino, makellos gesungen, bleibt im Gedächtnis.
Meret Forster

Bilder von der Inszenierung

1998: Janáčeks "Katja Kabanova" (Christoph Marthaler)

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Christoph Marthalers Salzburger "Katja Kabanova"-Inszenierung 1998 war eine Langsamkeitsstudie mit Wiederholungstätern in der Zeitschleife, erfundenen Leuten mit den immer gleichen Bewegungen: das Warten als Existenzform! Die heftig zuckende Urgewalt und Wucht der punktuell ekstatischen Musik lag bei Sylvain Cambreling und der Tschechischen Philharmonie in den besten Händen. Angela Denokes intensive Darstellung der Titelfigur begeisterte mit vielen Facetten vokalen Ausdrucks und psychogrammatisch hellen Momenten.
Volkmar Fischer

1993: Nonos "Prometeo" (konzertant, Leitung Ingo Metzmacher)

Luigi Nono | Bildquelle: picture-alliance/dpa 1993 war die Salzburger Aufführung von Luigi Nonos "Prometeo" im Rahmens des flankierenden "Zeitfluss"-Festivals ein musikalisches Erweckungserlebnis. 2011 konnte man Nonos "Prometeo" wieder in der Kollegienkirche hören, und zwar wie beim ersten Mal unter der Leitung von Ingo Metzmacher und in der Klangregie von André Richard. Diese "Tragödie des Hörens" ist keine Oper. Es gibt keine Bühne, keine Charaktere, keine handelnden Personen. Und es wird auch keine Geschichte erzählt. Aufeinander folgende Abschnitte beleuchten verschiedene Aspekte des Prometheus-Mythos. Zentral aber ist das Hören. Das Ohr – nicht etwa das Auge – ist für Nono DAS Sinnesorgan. "Ascolta" – Höre! Dieses Wort bleibt denn auch das einzige, das im Verlauf des gut zweistündigen Stückes klar artikuliert wird. Und es wird durch das rundum verteilte Ensemble Modern Orchestra und die Schola Heidelberg auch 2011 eine räumliche Dimension von Klang wahrnehmbar, die berührt und Nonos Musik zum emotionalen wie eindrucksvoll zeitlosen Hörerlebnis macht.
Meret Forster