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Salzburger Festspiele – historische Skandale Viel Theater ums Theater

100 Jahre skandalfrei? Das wäre ja wohl etwas langweilig. Und langweilig waren sie selten, die Salzburger Festspiele. Das lag nicht nur an den Inszenierungen, die das Publikum auf die Barrikaden brachten. Vor allem hinter der Bühne ging es hoch her. Übrigens weniger hinter der Opernbühne. Mehr Theater war im Theater.

Salzburger Theaterskandale: Thomas Bernhard (Collage) | Bildquelle: picture-alliance/IMAGNO/Barbara Pflaum, colourbox.com; Montage: BR

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Der Pass sei der edelste Teil eines Menschen, schreibt Bertolt Brecht 1941. In seiner Situation durchaus verständlich: Der Dichter lebt damals im Exil, erst in Dänemark, später in den USA. Die deutsche Staatsbürgerschaft haben ihm die Nazis schon 1935 aberkannt. Und auch nach dem Krieg bleibt Brecht zunächst staatenlos. Überaus unpraktisch für einen reisenden Künstler. Ideal wäre ein österreichischer Pass: Der würde es Brecht nämlich erlauben, in allen Besatzungszonen, und also auch in allen deutschsprachigen Theatern zu arbeiten. Für den auf Wirkung bedachten Dramatiker eine wichtige Sache. "Ich kann mich ja nicht in irgendeinen Teil Deutschlands setzen und damit für den anderen Teil tot sein", schreibt er 1949 an Gottfried von Einem.

Brecht liefert ein Theaterstück für einen Pass

Bertolt Brecht | Bildquelle: picture-alliance/dpa Wünschte sich einen österreichischen Pass: Bertolt Brecht | Bildquelle: picture-alliance/dpa Von Einem ist damals ein junger, aufstrebender Komponist – vor allem aber ist er Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele. Ein Gegenspieler Karajans, der versucht, die Festspiele nach dem Krieg neu aufzustellen. Sein Credo: Salzburg muss modern werden, eine Heimat für zeitgenössische Musik und Dramatik. Da kommt Brecht gerade recht mit seinem Vorschlag, ein "Festspiel" für Salzburg zu schreiben: den "Salzburger Totentanz", einen Anti-Jedermann als Ersatz für das angestaubte Domplatzspektakel. Was die Bezahlung angeht, hat Brecht auch schon eine Idee: "Ich weiß jetzt auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuss irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Pass."

Deal klappt, Bombe platzt

Gottfried von Einem ist mit diesem Vorschlag einverstanden und lässt seine Beziehungen spielen. Im April 1950 klappt es schließlich: Brecht erhält die österreichische Staatsbürgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt lebt und arbeitet er aber schon längst in Ost-Berlin, also in der DDR. Ein gefundenes Fressen für die Kritiker an der Salzach. Als der Kuhhandel öffentlich wird, kommt es zum Eklat. Die Salzburger Nachrichten vermelden: "Kulturbolschewistische Atombombe auf Österreich abgeworfen", und machen aus ihrer Weltsicht keinen Hehl: "Warum Bert Brecht, der zum verspäteten Landsturm des kommunistischen Avantgardistentums gehört, heute ausgerechnet auf Salzburg blickt, wohin er passt wie der Dieselmaschinist ins Oratorium, ist zunächst unerfindlich. Es gilt vielmehr nachzusuchen auf welchen Weg der Edelmarder in den Salzburger kulturellen Hühnerstall eingebrochen ist."

Nach dem Knall

Der Komponist Gottfried von Einem | Bildquelle: picture alliance/IMAGNO Wollte Brecht zu seinem Pass verhelfen: der Komponist Gottfried von Einem | Bildquelle: picture alliance/IMAGNO Den Sündenbock machen die Salzburger Kommunistenjäger schnell aus: Gottfried von Einem muss das Direktorium der Salzburger Festspiele verlassen. "Schande für Österreich" lautet das Label, das man ihm anheftet. Zwar bleibt der Komponist den Festspielen weiterhin verbunden, wirklich rehabilitieren wird er sich jedoch nie. Leichter hat es da Bertolt Brecht. Er kehrt Österreich, wo die Stimmung gegen ihn immer feindseliger wird, den Rücken. Schaden wird es ihm nicht. Der Dramatiker von Weltrang braucht die "Weltkunstzentrale" Salzburg nicht. Umgekehrt lässt sich das so nicht sagen: An Brecht kommen die Salzburger Festspiele jedenfalls nicht vorbei, auch wenn es fast 50 Jahre dauert, bis er auf dem Spielplan steht. 1998 ist es soweit. Regie-Großmeister Peter Zadek inszeniert Brechts "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny".

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"Alabama Song" from Brecht/Weill, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny | Bildquelle: Michael Cooper (via YouTube)

"Alabama Song" from Brecht/Weill, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Thomas Bernhard und der "Notlichtskandal"

Bernhard und Salzburg: Diese Geschichte gleicht eher Szenen einer (unglücklichen) Ehe. Schon bei seinen ersten Festspielen kracht es. 1972 steht endlich ein Drama von Thomas Bernhard auf dem Programm. Eine Uraufführung sogar. Claus Peymann inszeniert "Der Ignorant und der Wahnsinnige". Die Aufführung soll nach Plan des Regisseurs in völliger Dunkelheit enden. Ein Plan, der beinahe aufgeht bei der Premiere. Aber eben nur beinahe. Das Saallicht erlischt, das Notlicht glimmt weiter. Und voilá: Salzburg hat seinen "Notlichtskandal". Wie die Wahnsinnigen ärgern sich der Autor und sein Regisseur über die Salzburger Ignoranz. Finster hätte es sein sollen: schwarz, lichtlos, zappenduster! Doch der Brandschutz bockt. Die Festspielpremiere von Thomas Bernhard endet im Eklat. Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht vertrage, komme auch ohne sein Schauspiel aus, entscheidet der Dichter. Und rauscht davon.

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Thomas Bernhard   1972   Der Ignorant und der Wahnsinnige | Bildquelle: funk verkehr (via YouTube)

Thomas Bernhard 1972 Der Ignorant und der Wahnsinnige

Zum Glück eine Komödie

Der österreichische Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard (Juni 1976) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Stand mit seiner Heimatstad Salzburg auf Kriegsfuß: Der Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard | Bildquelle: picture-alliance/dpa Endlich Stunk im saturierten Salzburg: "Es war der erregendste Sommer seit langem", erinnert sich die Kritikerin Hilde Spiel. Und vielleicht ist das der Grund, weshalb Bernhard keine zwei Jahre später schon wieder ran darf: "Die Macht der Gewohnheit" wird inszeniert. Eine Komödie, zum Glück. Die Festspiele atmen auf. Die ZEIT schreibt: "Man geht aus dem Theater mit einem leeren und vergnügten Kopf." Ein Jahr später ist es dann schon wieder vorbei mit dem Vergnügen. Es kracht erneut. Bernhard arbeitet an seinem Drama "Die Berühmten" – bis man an der Salzach spitzkriegt, dass der Dichter darin prominente Salzburger Persönlichkeiten aufs Korn nimmt. Der schreckliche Verdacht: Gotteslästerung in "Karajanopolis". Die Festspielleitung verlangt Einsicht ins Manuskript. Bernhard ist brüskiert. Und rauscht erneut davon.

Salzburg – eine perfide Fassade?

Nie mehr Salzburg, tönt der Dramatiker nun im ORF. Die Festspiele seien für ihn eine "erledigte Sache". In seiner etwa zeitgleich erscheinenden Autobiographie "Die Ursache" wird Bernhard noch deutlicher. Salzburg, so heißt es hier, sei "eine perfide Fassade, auf welche die Welt ununterbrochen ihre Verlogenheit malt und hinter der das (oder der) Schöpferische verkümmern und verkommen und absterben muss."

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Thomas Bernhard: "Jeden Tag möcht ich irgend jemanden umbringen" | Bildquelle: lou stig (via YouTube)

Thomas Bernhard: "Jeden Tag möcht ich irgend jemanden umbringen"

Doch kein Ende

Aber apropos "verkümmern und verkommen": So ganz hat sich Bernhard das Schöpferische dann doch nicht austreiben lassen, von der Stadt und ihren Festspielen. Nicht weniger als drei Uraufführungen werden hier noch folgen: "Am Ziel" (1981), "Der Theatermacher" (1985) und "Ritter, Dene, Voss" (1986).

Salzburg hat offenbar gelernt, Bernhards Städtebeschimpfung als das zu nehmen, was sie ist: Schmähsport.

Sendungen:
"Allegro" am 05. August 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
"Allegro" am 10. August 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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