BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - "Tannhäuser" in Bayreuth Unter der Regenbogenflagge

Der neue "Tannhäuser" feierte am 25. Juli Premiere auf dem Grünen Hügel. Regisseur Tobias Kratzer überrascht bei seinem Bayreuth-Debüt mit einer originellen Inszenierung, bei der die Welt des Sponti-Theaters auf die Hochkultur der Bayreuther Festspiele trifft. Pointiert, humorvoll und zugleich berührend menschlich. Auch die sängerische Leistung war phantastisch. Einzig enttäuschend: Valery Gergiev am Pult. Er hatte hörbar mit der besonderen Akustik des Hauses zu kämpfen.

Premierenkritik: "Tannhäuser" in Bayreuth

Your browser doesn’t support HTML5 audio

Die Story beginnt mit einem Video, Luftaufnahme der Wartburg, dann im Drohnenflug über Thüringens Wälder. Ein alter Citroën-Bus taucht auf, ein Varieté-Theater auf Tour, eine ziemlich bunte Truppe, ziemlich gut drauf. Venus leitet die Companie. Mit an Bord sind eine schwarze, prachtvolle Drag-Queen, ein Kleinwüchsiger mit Trommel und ein trauriger Clown namens Tannhäuser. Drei Sätze aus den Flugblättern des jungen Richard Wagner haben sie sich auf die Fahnen geschrieben, drei Sätze aus der Zeit, als der Hofkapellmeister ein steckbrieflich gesuchter, anarchistischer Barrikadenkämpfer war: "Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen." Und so leben sie auch, anarchische Spontis, unangepasst, kreativ – aber auch kriminell und gewalttätig: Als ihre Dieberei in einem Burger King auffliegt, fährt Venus einen Polizisten um, der sich ihrem Bus in den Weg stellt.

Festspielhaus wird zur Wartburg

Das alles passiert während der Ouvertüre. Und in rasantem Tempo geht's weiter: Tannhäuser will dieses Leben nicht mehr mitmachen. Schließlich war er früher mal ernsthafter Künstler, sogar Wagner-Tenor. Also sagt er sich von Venus und ihrer Sponti-Truppe los. Der Pilgerchor, als exakte Kopie des Festspielpublikums, führt ihn nach Bayreuth auf den Grünen Hügel. Tannhäusers Sängerkollegen überreden ihn, wieder bei der Hochkultur mitzumachen.

Bilder der Inszenierung finden Sie hier.

Und so führt der zweite Akt in eine konservative Tannhäuser-Inszenierung im Stil von Wolfgang Wagner. Allerdings ergänzt um den Backstage-Bereich: Im Video sieht man, wie Venus mit ihrem schrägen Gefolge ins Festspielhaus eindringt. Sie suchen nach Tannhäuser. Klar, dass sie dann auf offener Bühne die Inszenierung aufmischen - bis Festspielchefin Katharina Wagner höchstpersönlich die Polizei ruft. Während Tannhäuser verhaftet wird, wirft die Drag-Queen die Regenbogenflagge über die Harfe.

Tobias Kratzer parodiert humorvoll Bayreuther Festspiele

Eine virtuose Selbstparodie, gespickt mit Zitaten. Tannhäusers Outfit ist eine Reverenz an Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns", der Kleinwüchsige an die Blechtrommel von Günther Grass. Die Biogasanlage der ungeliebten vorigen Bayreuther "Tannhäuser"-Inszenierung wird ebenso auf die Schippe genommen wie die legendären Dirigentenporträts im Kantinen-Gang des Festspielhauses, inklusive humorvollen Spitzen gegen Christian Thielemann.

Zwei Kunstwelten prallen aufeinander

Das eigentliche Kunststück dabei ist, dass all die Pointen nicht auf Kosten des Werkes gehen. Tobias Kratzer will sich nicht über Wagner mokieren, sondern seine mythisch entrückten Figuren möglichst wirkungsvoll vermenschlichen. Und vor allem lässt er - ganz im Sinne des Grundkonflikts, den der Sängerkrieg verhandelt - zwei Formen von Kunst aufeinanderprallen: Auf der einen Seite die Welt der kanonischen Meisterwerke und der edlen Klassikerausgaben – auf der anderen Seite die sinnliche, spontane Welt der Performance und der Gegenkultur. Wagner selbst war ja beides: Anarchischer Revoluzzer und Klassiker zu Lebzeiten. Wobei Kratzer keine der beiden Seiten verklärt – denn Venus' Sponti-Truppe wird nicht nur als gewalttätig, sondern auch als käuflich und egoistisch gezeigt.

Sex zwischen Elisabeth und Wolfram

Der dritte Akt, plötzlich düster und ernst und ohne Videos, zeigt die Schattenseite, das Scheitern. Wolfram und Elisabeth warten auf einem Schrottplatz mit riesigem Werbeplakat, bevölkert von den Verlierern unserer Gesellschaft. Berührend zeichnet Kratzer vor allem die Figur der Elisabeth, die sich – enttäuscht von ihrer Hoffnung auf Tannhäuser – erst Wolfram in die Arme wirft und dann die Pulsadern aufschneidet. Eine starke Deutung, theaterwirksam, tragikomisch und beziehungsreich.

Dirigat von Valery Gergiev: Ideenlos, verwackelt und konturlos

Trüb dagegen sieht's im Graben aus. Dirigent Valery Gergiev ist mit der wunderbaren und schwierigen Akustik des Festspielhauses überfordert. Nach der temperamentvoll gelungenen Ouvertüre kommen wenig Ideen aus dem Graben. Die Massenszenen wackeln, die Instrumente schlurfen den Sängern hinterher, was sicher nicht die Schuld der fabelhaften Musiker ist, der Klang ist oft pauschal und verwaschen, im piano konturlos. Zu wenig Probenzeit, zu wenig Gestaltungsideen und offenbar vor allem zu wenig Vorbereitung auf die einzigartigen Klangverhältnisse in Bayreuth: Das war wirklich keine Weltklasse, was Valery Gergiev hier abgeliefert hat.

Phantastische Leistungen der Sänger

Die fantastischen Sänger hätten etwas Besseres verdient. Markus Eiche singt den Wolfram mit warmem, perfekt sitzendem Bariton. Als Einspringerin für eine verletzte Kollegin beeindruckt Elena Zhidkova als Venus. Schier Übermenschliches leistet Stephen Gould als Tannhäuser – denn er gestaltet nicht nur souverän diese Mörderpartie, sondern singt ja in Bayreuth auch noch den Tristan. Der Mann muss unverwüstliche Stimmbänder haben und natürlich eine exzellente Technik. Eine Jahrhundertstimme hat Lise Davidsen. Wo Gould mit Kraft beeindruckt, fasziniert Davidsen als Elisabeth mit Farben, Körperspannung und einem unverwechselbaren Timbre. Trotz der enttäuschenden Leistung von Valery Gergiev ein richtig starker Abend.

Sendung: Allegro am 26. Juli 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK