Seit über fünf Jahrzehnten gehört er zu den besten Jazztrompetern der Welt. Und bis zum Jahr 2000 leitete er im Hauptberuf ein international aufgestelltes Unternehmen. Am 10. Dezember feiert Franco Ambrosetti seinen 80. Geburtstag
Witz, Gelassenheit, Stil: Das kennzeichnet Franco Ambrosetti, wo immer man ihm begegnet. Etwa 2016, in einem Gespräch für "ARD alpha" - ein Mann, der mit übereinandergeschlagenen Beinen und mit freundlicher Leichtigkeit im Ton von seiner nicht unkomplizierten doppelten Karriere als Trompeter und Unternehmer erzählt, in Jeans und eleganten Schuhen, mit grünem Jackett über einem blau-weiß gestreiften Hemd. Ein Schweizer mit italienischer Lebensart, der, geboren 19412 in Lugano, neben Italienisch auch glänzend Deutsch spricht, Englisch und Französisch sowieso. Faszinierend, ihm zuzuhören. Und genau das ist auch der Fall, wenn er sein Instrument spielt. Er spielt oft, als würde er sprechen: Seine Soli bauen mit gebündelter Energie Spannung auf und lösen sich in zielgenau angesteuerten Pointen. Damit hat sich Franco Ambrosetti seit den 1970er Jahren im internationalen Jazz-Geschehen gehalten, hat mit großen amerikanischen Stars wie John Scofield, Terri Lyne Carrington, Greg Osby, Phil Woods, Mike Richmond und vielen anderen gespielt und hervorragende Platten gemacht.
Gitarrist John Scofield war jetzt auch dabei, als Franco Ambrosetti Ende November in Basel seinen 80. Geburtstag musikalisch vorfeierte. Ein Ensemble mit lauter Größen aus den USA hatte er sich da geleistet: Uri Caine am Klavier, Scott Colley am Bass, Peter Erskine am Schlagzeug, John Scofield an der Gitarre - und der beneidenswert jung und schwungvoll wirkende Ambrosetti selbst am Flügelhorn. Im vollbesetzten Saal des Volkshauses Basel - trotz Corona ohne freie Stühle zwischen den Besuchern - spielte dieses Star-Quintett Stücke wie Ambrosettis "Silli in the Sky" (seiner Frau Silli gewidmet), aber auch Standards wie „Footprints“ und "Autumn Leaves". In dem Victor-Young-Klassiker "My Foolish Heart" zeigte Ambrosetti sein nach wie vor hohes Potenzial als Solist: Er umspielte die Melodie des lyrischen Stücks mit geistsprühender Gelassenheit, dehnte und verkürzte Motive, ließ Töne ganz lang liegen, um sie dann mit lakonischen Tonketten und einem Hauch von Ironie zu kontrastieren: spannende Momente, Innigkeit, die nicht ins Süßliche abrutschte. Im noblen blauen Zweireiher über einem weißen Hemd (schöner Kontrast zu einem viel zu weiten beigen Rauten-Pullover des Pianisten Uri Caine) gab Ambrosetti an diesem Abend außerdem das Bild des idealen Bandleaders ab: Viel Raum gab er seinen Partnern, auch sie brachten Lieblingsstücke als Material für lustvolle lange Soli mit - und über sich selbst sprach er, mal schwyzerdütsch, mal italienisch, mal englisch, nur so viel wie nötig. "Ich bin ja gar noch nicht achtzig, sondern neunundzwanzig … äh, neunundsiebzig."
Franco Ambrosettis Spiel auf der Trompete und dem weicher klingenden Alternativ-Instrument Flügelhorn, das sehr viele Jazztrompeter ebenfalls benutzen, war in seiner langen Karriere stets attackenreich, feurig und hochvirtuos - und dennoch von einer wie selbstverständlichen Gelassenheit geprägt. Es gibt einen - auch fürs Fernsehen aufgezeichneten - Live-Mitschnitt seiner Band, der 2001 bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen entstand. In dieser Aufnahme spielt Ambrosetti unter anderem mit dem Saxophonisten Mark Turner und dem Pianisten Jason Moran zusammen, zwei damals ganz jungen Musikern, die heute zu den Top-Weltstars gehören. Und Ambrosetti selbst lässt da in dem Klassiker "The Sidewinder" mit unglaublicher Beiläufigkeit rasante und glasklar intonierte Tonketten dahinsausen - die dennoch beseelt sind von geistblitzender Schönheit. Jetzt, zwanzig Jahre später, ist sein Spiel etwas zurückhaltender, kräfteschonender geworden: Er bläst nur noch das Flügelhorn, das er leichter spielbar findet, und setzt Energie und Tempo weiser ein als ehedem.
Ruhe, Schönheit, leicht gedeckter Ton: So hört man Ambrosetti auf seinem jüngsten Album, das 2021 erschien und in New York mit den Kollegen Renee Rosnes, John Scofield, Uri Caine und Jack DeJohnette aufgenommen wurde. "Lost within you" heißt es (Unit Records) und bietet Klassiker wie "Body and Soul" und Horace Silvers "Peace" in einem Klangbild von besonderer Wärme und Eleganz. Ein Album, das sich einreihen kann in eine Serie beachtlicher Alben.
Mit amerikanischen Stars, die er sich stets problemlos leisten konnte - sowohl von der spielerischen als auch der finanziellen Klasse her -, nahm Ambrosetti Alben auf, die zeitlos herausragenden Jazz enthalten. Etwa 1985 die von temporeichen Glanzstücken und innigen Balladen geprägte Langspielplatte "Gin and Pentatonic" mit international herausragenden Kollegen wie Michael Brecker, Kenny Kirkland, Tommy Flanagan und Dave Holland. Dann die Platte "Movies" von 1986 mit Film-Melodien von "Yellow submarine" bis "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt", bei der unter anderem Gitarrist John Scofield und Pianistin Geri Allen mitwirkten. Oder 1990 mit Kollegen wie Simon Nabatov, Ed Schuller und dem hervorragenden Arrangeur Daniel Schnyder sowie dem NDR-Sinfonieorchester Hannover die "Music for Symphony & Jazz Band", die mit zum Besten gehört, was an Verschmelzung von Jazz-Solisten mit klassischem Orchester-Apparat je gemacht wurde.
Sendung: Jazztime, 10. Dezember 2021 ab 23.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Franco Ambrosetti zu Gast im Alpha-Forum im März 2016