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Kritik - Monteverdi bei den Salzburger Festspielen John Eliot Gardiner beeindruckt mit Opern-Zyklus

Es ist eine alte Liebe: Seit seiner Kindheit schwärmt John Eliot Gardiner für die Musik Claudio Monteverdis. Das Jubiläumsjahr zu Monteverdis 450. Geburtstag nimmt Gardiner zum Anlass für eine Art Pilgerreise: Die drei überlieferten Opern im Gepäck reist er mit halbszenischen Aufführungen durch Europa - und ist damit derzeit bei den Salzburger Festspielen zu erleben. Oswald Beaujean hat den Monteverdi-Zyklus gesehen.

Die Kritik als Gespräch zwischen Oswald Beaujean und Bernhard Neuhoff: null

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Das musikalische Ergebnis ist schlicht überwältigend. Die halbszenische Umsetzung durch Elsa Rooke und Gardiner selbst gibt jede Menge Raum für die eigene Fantasie, von einer echten Inszenierung lässt sich ungeachtet der Kostüme und der Spielfreudigkeit der Solisten wie des fantastischen Monteverdi Choir kaum reden. Man empfindet das nicht als Mangel, Gardiners Konzept der vollen Konzentration auf die Musik geht uneingeschränkt auf.

Feine Zwischentöne

Die Solisten singen und spielen zwischen den auf der Bühne sitzenden großartigen Instrumentalisten der English Baroque Soloists. Ab und an lehnt sich auch schon mal jemand an die Schulter des Dirigenten. Und musikalisch lassen sich diese Meisterwerke aus den Anfängen der Operngeschichte ganz sicher nicht schöner, differenzierter und farbiger realisieren. Gardiner lässt sich bei aller Dramatik immer wieder viel Zeit für feinste Zwischentöne, für leise, schwebende Klänge, die wie aus einer anderen Welt in die Salzburger Felsenreitschule zu schweben scheinen. Und die rund dreißig Musiker der English Baroque Soloists füllen den riesigen Raum auch mit den leiseren historischen Instrumenten mühelos.

Monteverdia "L'Orfeo"

Dirigent John Eliot Gardiner | Bildquelle: © Chris Christodoulou Gardiners wunderbare Umsetzung und Deutung von "L'Orfeo" ist so überwältigend intensiv, dass man sich paradoxerweise - zwischen zweitausend Menschen sitzend - tatsächlich im Palazzo Ducale in Mantua wähnt, in jenem keineswegs großen fürstlichen Gemach, in dem 1607 Monteverdis "L'Orfeo" aus der Taufe gehoben wurde - ähnlich halbszenisch wie jetzt in Salzburg und wahrscheinlich in recht vergleichbarer Besetzung.

"Il ritorno d'Ulisse in patria"

Diese Intensität wird auch an den fantastischen Solisten getragen, die mit Gardiner auf Tournee sind - allen voran der jugendlich frische, völlig mühelos gestaltende Krystian Adam in der Titelpartie, Hana Blažíková als berührend zarte Euridice und Lucile Richardot als faszinierend eindringliche und expressive Botin. Sie alle sind zwei Tage später in "Ulisse" wieder zu erleben, gemeinsam mit Furio Zanasi in der Titelpartie. Vielleicht gehen die Ensembles in der ersten Hälfte dieser 1639 in Venedig uraufgeführten Oper in Gardiners Konzeption am wenigsten auf. Sie bedürften in ihrer kammerspielartigen Intimität am stärksten einer intensiven und ausgefeilten Personenführung, die in Salzburg eben nur bedingt zu erleben ist.

Das ändert nichts daran, dass es Zanasi überzeugend gelingt, die wilde Verzweiflung des umherirrenden Odysseus ebenso glaubhaft zu machen wie die tiefe Sehnsucht und schließlich das Glück des unendlich Liebenden. Lucile Richardot ist ihm als Penelope eine absolut ebenbürtige Partnerin. Ihre tugendhafte Konsequenz dürfte die Freier nicht weniger beeindrucken als die fast schon unheimliche Expressivität ihres Timbres.

Musikalischer Höhepunkt mit "L'incoronazione di Poppea"

Mit seinem neuem Monteverdi-Zyklus reist John Eliot Gardiner derzeit durch Europa. | Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Silvia Lelli Das war von Poppea, jenem berechnenden Flittchen, einen Abend später ganz anderes zu erleben: keinerlei Tugend und keinerlei Moral, dafür deutlich mehr Sexappeal. Hana Blažíková spielte das fast zu mädchenhaft scheu, legte ihre ganze Verführungskunst in ihre traumhaft schöne Stimme. Das reichte völlig. Kangmin Justin Kim war als Nero Wachs in ihren Händen, ein phänomenaler Countertenor, dem man den Liebeswahn ebenso abnahm wie seine berechnende Machtgier und politische Kaltschnäuzigkeit. Überhaupt zeigte auch dieser dritte Abend, welch fantastisches Ensemble Gardiner mit auf seine Pilgerfahrt genommen hat. Neu zu erleben war Marianna Pizzolato als gleichermaßen anrührende wie abstoßende Kaiserin Ottavia. Es bleibt ein Wunder, wie Monteverdi einem so durchgängig zwielichtigen Personal eine so wunderschöne Musik auf den Leib schreiben konnte. John Eliot Gardiner nahm sie dankbar hin und machte den letzten Abend seines Zyklus' vielleicht zum Höhepunkt - wenn man denn diesbezüglich werten möchte.

Ein Fest für Monteverdi-Fans

Für einen Monteverdi-Fan ist Gardiners unglaublich schöner Zyklus ein Fest. Selten war so unmittelbar zu erleben, was Monteverdis "L'Orfeo" ganz am Anfang der Operngeschichte auf so überwältigende Weise klar stellte. Vor 510 Jahren hat Claudio Monteverdi die Frage beantwortet, weshalb Menschen im Theater eigentlich singen sollen, anstatt - viel naheliegender - zu sprechen: Weil die Musik, vermag sie auch die Toten nicht zum Leben zu erwecken, Emotionen ausdrücken und transportieren kann, die weit über alles nur Gesagte hinausgehen.

Monteverdi-Zyklus bei den Salzburger Festspielen

Musikalische Leitung: John Eliot Gardiner
Regie: Elsa Rooke, John Eliot Gardiner

Monteverdi Choir
English Baroque Soloists

L'Orfeo
Premiere: 26. Juli 2017

Il ritorno d'Ulisse in patria
Premiere: 28. Juli 2017

L'incoronazione di Poppea
Premiere: 29. Juli 2017

Infos zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Salzburger Festspiele.

Sendung: Piazza, 29. Juli 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK