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Buchtipp – Biographie über Mariss Jansons "Ein leidenschaftliches Leben für die Musik"

16 Jahre lang war Mariss Jansons Chefdirigent beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Eine fruchtbare, bereichernde, beglückende Zeit – für ihn, das Orchester und das bayerische Kulturleben. Am 1. Dezember ist Jansons 76-jährig in seiner Heimatstadt St. Petersburg gestorben. Jetzt hat der Journalist und Musikredakteur Markus Thiel eine Biografie über den Dirigenten geschrieben.

Bildquelle: Piper

Berlin 1971: Ein 28-Jähriger erklärt den Berliner Symphonikern die ersten Takte von Beethovens fünfter Sinfonie, singt sie ihnen vor. Er wird diesen Karajan-Dirigenten-Wettbewerb nicht gewinnen, aber der zweite Platz öffnet ihm auch Türen. Und macht ihn, den Sohn eines Dirigenten und einer Mezzosopranistin, zu einem eigenständigen Künstler: "Ich war nicht mehr der Sohn von Arvids Jansons. Ich war nun Mariss Jansons."

Keine starre Chronologie

Mit dieser "zweiten Geburt" beginnt der Blick auf das Leben von Mariss Jansons. Immer wieder wählt Markus Thiel situative Einstiege in seine meist nur acht oder neun Seiten langen Kapitel, durchbricht die Chronologie, springt zurück, greift vor. Er präsentiert uns nicht immer gleich eine Jahreszahl und setzt auf diese Weise fast beiläufig das Bild dieses Menschen zusammen.

Und wenn ich sagte, dass ich einen wärmeren Ton haben möchte, schien es mir, als werde gleich zurückgefragt: Wieviel Grad soll der haben?
Mariss Jansons beim Pittsburgh Symphony Orchestra

Musik als Refugium

Mariss Jansons dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der japanischen Suntory Hall. | Bildquelle: BR / Koichi Miura Mit wenigen Strichen skizziert diese Biografie die Welt, in die Mariss Jansons 1943 hineingeboren wird. Lettland steht unter deutscher Besatzung, nach dem Krieg kommen die Sowjets. Die Opernwelt der Eltern wird zum Schutzraum. Ein liebevolles Zuhause bewahrt den kleinen Mariss vor traumatischen Erlebnissen: "Ich habe keine wirklich dramatischen Situationen bewältigen müssen, ich bin nie vom Schicksal bestraft worden." Bei vielen Zitaten in dieser Biografie meint man Jansons‘ verhangene, oft leicht schleppende Stimme zu hören.

Kurz und bündig

Dieses Buch muss man haben, weil …
... es auf sehr noble Weise das Andenken an einen großen Dirigenten wach hält.

Dieses Buch lädt ein …
... zum Sich-Erinnern an eine überwältigende "Pique Dame" unter Mariss Jansons, konzertant in der Philharmonie im Münchner Gasteig.

Dieses Buch hat gefehlt, weil …
... der bescheidene Mariss Jansons selber nie sehr viel über sich erzählt hat.

Chefdirigent in München

Ein brillanter Musiker und ein Humanist war Mariss Jansons. Das ist auch das, was im Jahr 2003 das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks braucht, nach der – wie Thiel schreibt – "künstlerischen und menschlichen Entfremdung" von Lorin Maazel. Dabei war Jansons nicht einmal die erste Wahl der Münchner. Spannend und gut erzählt: diese Geschichte von der ersten Annäherung bis zur Vertragsunterzeichnung. Thiels Sprache kommt ohne Klischees aus, biedert sich nicht an, verherrlicht nicht.

Das Orchester muss das Gefühl haben, dass sie das gemacht haben. Ich produziere keinen Klang. Sie spielen das!
Mariss Jansons

Berührender Blick auf die Musikerpersönlichkeit

Mariss Jansons beim Neujahrskonzert 2016 mit den Wiener Philharmonikern | Bildquelle: picture-alliance/dpa Fabelhaft ist die knappe Analyse der drei ganz unterschiedlichen Auftritte von Jansons bei den Wiener Neujahrskonzerten. Erfrischend böse ist die indirekte, durch Jansons-Zitate belegte, Abrechnung mit den bayerischen Politikern in der Konzertsaal-Debatte. Und berührend ist der dezente Blick auf das allmähliche krankheitsbedingte Verlöschen dieser Musikerpersönlichkeit, dieses Analytikers mit Herz – und auch Humor.

Infos zum Buch

Markus Thiel:
"Mariss Jansons – ein leidenschaftliches Leben für die Musik"

Piper Verlag
320 Seiten
Preis: 25,00 Euro

Sendung: Allegro am 2. März 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.