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Kolumne - Die Frau und die Klassikwelt Zwei Quadratmeter Männlichkeit

Das Thema brodelt in der Musikwelt gleichmäßig vor sich hin. Hin und wieder platzt eine große Blase. Etwa, als einst die Wiener Philharmoniker regelrecht gezwungen wurden, sich endlich aufrichtig damit zu beschäftigen: Frauen in der Musik. Kolumnist Laszlo Molnar beschäftigt sich mit der Frage: Warum tut sich der gemeine Mann und Musiker so schwer mit Veränderung?

Bildquelle: © Musacchio Ianniello Accademia Nazionale di Santa Cecilia

Gerade im Fall der Wiener Philharmoniker trat zutage, welch verknöcherte Haltungen zur Rolle der Frau in der Musik immer noch herrschen können. Der einstmalige Herrenclub des Edelorchesters gab sich noch zu Zeiten als Bastion der Männlichkeit, als in vielen anderen Orchestern weltweit längst mehr Frauen als Männer saßen. 

Anneleen Lenaerts, Harfenistin bei den Wiener Philharmonikern | Bildquelle: Marco Borggreve

Die Wiener Herren argumentierten, es habe sich in den anonymen Probespielen eben stets ergeben, dass es ein Mann war, der hinter dem Vorhang das beste Ergebnis abgeliefert hatte. Man sei da völlig offen gewesen. Quasi unter dem Druck der Öffentlichkeit gestatteten sie es in den 1990er Jahren - neben der immer unvermeidlicher werdenden Harfenistin, da kaum Männer dieses Instrument studieren wollen - einer Bratscherin, als Wiener PhilharmonikerIN aufs Podium zu kommen. Damit hatte der Damm einen Riss. Seither wird der einzigartige Wiener philharmonische Klang durch Frauen mitgeprägt. Es sind mir keine Klagen bekannt, dass der Klang nicht mehr so einzigartig sei wie früher. Was doch irgendwie beweist, dass das Thema vor allem eins der Befindlichkeit männlicher Gehirne ist.

Männer haben allgemein die Neigung, sich Domänen zu schaffen und sie heftig zu verteidigen. Zunächst war es das Territorium unmittelbar vor der Höhle. Nun hat die  Menschheit fast zweihundert Jahre der Industrialisierung hinter sich und der Mann will das Dominieren nicht lassen. Nach wie vor sind die meisten Betreiber, Direktoren und Vorstände von Unternehmen: Männer. Die Heerscharen der Mitarbeiter werden dagegen mindestens zur Hälfte, oft zu einem größeren Anteil, von Frauen gebildet. Dann kommen immer wieder Bekenntnisse aus den Führungsetagen, das müsse sich ändern, notfalls mit einer Quote. Danach bleibt es, soweit es eben geht, beim Alten: Gleichberechtigung da, wo die Arbeit gemacht werden muss. Abschottung, wo die Entscheidungen getroffen werden und  die "Führung" stattfindet. Da unterscheidet sich die Musik nicht von der Industrie. Letztlich sind auch die Wiener Philharmoniker diejenigen, die die Arbeit machen. Vor ihnen, auf dem Dirigentenpodest, stehen Männer.

Mahler verbot Alma das Komponieren

Gustav und Alma Mahler | Bildquelle: Moritz Nahr

Dieses kleine Podest, diese etwa zwei Quadratmeter Podium, sind in der Musik die am härtesten verteidigte Bastion des Mannestums. Daran, dass Frauen allgemein gute Musiker sind, mussten die Männer sich seit etwas mehr als 300 Jahren zunehmend gewöhnen. Hieß es einst "Mulier tacet in Ecclesia", was auch ein Sing- und Spielverbot umfasste, versuchte man später, die Frauen von den immer mehr in Mode kommenden Bühnen des Musiktheaters fern zu halten. Aber das hatte wenig Zukunft, weil Frauen nun einmal realer Bestandteil des Lebens sind. Also zumindest keine Frauen an Instrumenten, dafür konnten gut organisierte Musikergilden sorgen. Während die Frauen als Sängerinnen ihren Siegeszug als anbetungswürdige Personen feierten und höhere Gagen als männliche Kollegen erzielen konnten, blieb das Virtuosentum am Instrument dem Mann vorbehalten. Bach, Mozart, Paganini, Liszt. Frauen waren zuständig für die Hausmusik. Die hochtalentierte Pianistin Clara Wieck-Schumann war zu ihrer Zeit die Ausnahme, deshalb wurde sie überall gefeiert und auf ausgiebige Konzertreisen eingeladen. Ein Gustav Mahler konnte es sich noch leisten, seiner ebenfalls hochbegabten Frau Alma Schindler das Komponieren zu verbieten. Sie wäre womöglich eingedrungen in seine Domäne, wäre ein Riss geworden im festgebauten Damm musikalischer Männlichkeit. Erst nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts betraten die großen Geigerinnen und Pianistinnen die Bühnen.

So, wie wir heute die Zahl der weltweit agierenden Dirigentinnen größerer Orchester an zwei Händen abzählen können, gab es einst nur eine kleine Zahl bedeutender Instrumentalistinnen. Anscheinend wirkt in der Musikwelt eine besonders gründliche Mischung aus langsamem evolutionären Tempo und Bollwerken gegen Wandel. Es brauchte sehr lange, bis die dominierenden Männer sich an die schiere Präsenz ihrer weiblichen Mitmenschen gewöhnen wollten. Das spielt für die Wahrnehmung der Frau als Dirigentin eine Rolle: Diesen Beruf gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, natürlich übten ihn erst einmal und lange Zeit nur Männer aus.

Das Männerhirn gewöhnt sich nur langsam um

Deshalb sind aus dem ganzen weiten Feld der Musik diese zwei Quadratmeter Dirigentenpodest übrig geblieben, wo es für Männer noch die Dominanz zu verteidigen gibt. Ihr Rückzug dorthin hat sich langsam, aber unaufhaltsam vollzogen. Nach der Kapitulation der Wiener Philharmoniker können sie nicht mehr auf Solidarität von Orchestermusikern berufen - dort haben allerorten die Frauen ihren rechtmäßigen Anteil erobert. Dass sich der Prozess so langsam vollzieht, liegt meiner Ansicht nach an der nur zähen Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich an neue Verhältnisse zu gewöhnen. Hat das vielleicht physiologische Gründe?

Nicht nur in Frauenkreisen kursiert zu dem Thema immer wieder ein Witz:

Im Hirn eines Mannes ist eine einsame Gehirnzelle unterwegs. Sie wundert sich, dass sie so alleine ist und auf keine Artgenossen trifft. Nach langer Zeit, endlich, taucht doch noch eine andere Gehirnzelle auf. Die erste, einsame Zelle, fragt: "Was ist denn hier los? Warum sind wir hier alleine? Wo sind die anderen?" Worauf die andere Zelle antwortet: "Na du bist aber gut! Hast du das nicht mitgekriegt? Die anderen sind doch alle längst da unten!"

Ja, der Mann ist extrem mit sich selbst beschäftigt. Obliegt es ihm doch, die Art zu erhalten und dann gegen aggressive Geschlechtsgenossen zu beschützen. Wie sollen Männer die Zeit und die Kapazität haben, sich mit den Erfolgen des anderen Geschlechts zu befassen? Wie lange haben sie gebraucht zu bemerken, dass die Kinder nicht von selbst erzogen werden und der Haushalt sich nicht von alleine wieder aufräumt. Und recht weit entfernt sind Männer noch davon, ganz vorne im Flugzeug eine Pilotin zu erwarten, auf der Brücke des Kreuzfahrtschiffs eine Kapitänin oder eine Mechatronikerin in der Autowerkstatt. Deshalb werden auch die Dirigentinnen noch einige Zeit und Beharrlichkeit brauchen, ihren Platz nicht nur auf den zwei Quadratmetern Podium zu erobern. Sondern, vor allem, im Manneshirn.