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Kritik – Janáčeks "Jenůfa" an der Royal Opera Covent Garden In London sind die Nächte wild

Viel hat sich verändert in London seit dem Lockdown im Frühjahr 2020. Streift man durchs Vergnügungsviertel Soho, fallen vor allem zahlreiche kleine Läden auf, die Fair-Trade-Kaffee oder Bio-Sandwiches anbieten. Wo einst bis spätnachts Fastfood-Glutamat-Küchen üppige Umsätze machten, findet sich nun manch veganer Burgerladen oder eine schicke Bar mit exquisiten Kreationen. Gesundheitstechnisch hat die Krise also etwas gebracht, was die Kulturszene angeht. Einige früher ständig ausverkaufte Musicals sind noch im Wartezustand, für fast alle(s) andere gilt: Karten an der Abendkasse? Kein Problem!

Bildquelle: ROH London | Tristram Kenton

Auch die erste große Neuinszenierung der Royal Opera Covent Garden, Leoš Janáčeks "Jenůfa", war bei der Premiere am 28. September nicht ganz ausverkauft. Am Stück liegt das eher nicht, der Komponist wurde und wird viel in England gespielt. An der Besetzung kann es auch nicht liegen, denn Asmik Grigorian gibt ihr Covent-Garden-Debüt in der Titelpartie. Fast langweilig zu sagen: Es war großartig.

Asmik Grigorian als begehrte Frau

Mit farbiger Wucht und intensivem Trauermelos, mit ungeheurer vokaler und darstellerischer Kraft zeigt Grigorian alle Facetten der von den Halbbrüdern Laca und Števa begehrten Frau. Erst sind Jenůfa und Števa ein Paar, doch der Typ ist ein Trunkenbold. Im Affekt verletzt Laca wiederum Jenůfa im Gesicht, darauf verlässt Števa sie. Das mit letzterem noch entstandene Kind entsorgt – anders kann man es nicht nennen – die Ziehmutter Jenůfas im Eis, doch die Babyleiche taut und taucht bald wieder auf... Am Ende werden Laca und Jenůfa ein Paar und schreiten in eine hoffentlich bessere Zukunft.

Claus Guth inszeniert klar und leicht symbolhaft

Janáčeks "Jenůfa" am Royal Opera House London – in der Rolle der Küsterin: Karita Mattila | Bildquelle: ROH London | Tristram Kenton Regisseur Claus Guth (er)findet diesmal keine neue Deutung eines Klassikers, sondern erzählt klar und leicht symbolhaft-surrealistisch die Geschichte. Da wandert etwa ein großer Rabe durch die eher karge Szenerie, die mal an ein Gefängnis erinnert, mal an einen schmucklosen Un-Ort. Der Chor kommt in eher dunklen, tristen Kostümen daher – überhaupt ist Schwarz die Farbe des Abends. Nur zum Finale gibt es Folklore-Kleidung, die aber nicht als ironische Brechung dient, sondern schlicht die Hochzeit von Jenůfa und Laca schön bebildert. Die Geometrie der sich mehrfach wandelnden Gefühle wird klug vermittelt auch durch eine feinfühlige, minimalistische, manchmal die Protagonisten fast einfrierende Choreographie von Teresa Rotemberg. Michael Levine hat die Bühne gestaltet, ausnahmsweise einmal nicht Claus Guths Dauerausstatter Christian Schmidt, die Kostüme stammen von Gesine Völlm.

Karita Mattila – zur Küsterin gereift

Neben Grigorian glänzt vor allem Karita Mattila als Küsterin (beziehungsweise Stiefmutter und Kindsmörderin) die es lediglich beim Applaus durch Niederknien auf der Bühne und allerlei Gerührtseins-Gesten arg übertreibt. Mattila sang viele Jahre in London die Titelpartie, jetzt ist sie zur Küsterin gereift. Nicky Spence singt Laca mit feinem Timbre, Saimir Pirgu ist ein voluminöser, sinistrer Števa, wunderbar auch Elena Zilio als Großmütterlein Buryjovka.

Exzellenter Ersatz für Vladimir Jurowski

Die für März 2020 geplante Premiere hätte Vladimir Jurowski dirigieren sollen, der sich aber gerade als neuer GMD der Bayerischen Staatsoper mit Dmitri Schostakowitschs "Nase" beschäftigt. Der Ersatz ist exzellent, nämlich Henrik Nánási, der zwar Ungar ist, aber die komplexe wie sinnliche Tonsprache seines tschechischen Nachbarn Janáček wirklich aus dem Effeff beherrscht. Jubel für alle. Und auch fürs Regieteam keinerlei Wiederspruch vom oft ja ziemlich kritischen Londoner Premierenpublikum.

Die Londoner "Jenůfa"

Informationen zu Terminen und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage der Royal Opera Covent Garden.

Sendung: "Leporello" am 29. September 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK