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Kirill Serebrennikov zum 50. Geburtstag Ein Regisseur im Kampf mit der Macht

Er ist studierter Physiker, kam autodidaktisch zum Theater und wurde bald gefeierter Regisseur: Kirill Serebrennikow wurde am 7. September 2019 50 Jahre alt. Sein gesellschaftskritischer Ansatz und seine bunten, frechen Inszenierungen brachten ihn in einen eineinhalbjährigen Hausarrest. Der Hausarrest ist inzwischen aufgehoben, aber gegen ihn hat ein neuer Prozess mit einer neuer Richterin begonnen. Das Urteil steht also noch immer aus.

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In Russland ein Held

Der Regisseur Kirill Serebrennikov sagte 2016 in der "Süddeutschen Zeitung": "In Westeuropa ist der Künstler ein Teil des Establishments. In Russland ist der Künstler, weil er hilft, sich gegen etwas aufzulehnen, ein Held." Serebrennikov ist in Russland so ein Held, aber einer der modernen, sanften Art. Er ist kein Draufgänger, sondern ein ambitionierter und streitbarer Intellektueller mit Vorliebe für Wollmützen und markante Brillen.

Geboren in Rostow am Don studierte Serebrennikov zunächst Physik. Dann kam er aus Begeisterung für die Kunst autodidaktisch zum Theater und avancierte bald zum erfolgreichen Regisseur. 2012 bekam er die künstlerische Leitung des Gogol-Centers übertragen. Er und sein Gogol-Theater wurden ein Symbol des kulturellen Aufbruchs der Medwedew-Ära von 2008 bis 2012.  

Serebrennikow fällt in Ungnade

Doch mit dem Machtzuwachs Putins begann ein anderer Wind zu wehen. Trotz allen Erfolges machte Serebrennikov sich bei konservativen Kreisen und besonders bei der einflussreichen russisch-orthodoxen Kirche unbeliebt. Mit seinen Arbeiten hat er immer wieder gesellschaftskritische Themen – wie etwa Korruption – thematisiert. Seine Arbeiten sind oft bunt, frech und offen. Seine "Nurejew"-Inszenierung am Bolschoi-Theater sorgte 2017 für Furore – allerdings fand die Premiere ohne ihn statt: Serebrennikov war kurz zuvor verhaftet worden.

"Es ist eine Art konservative Revolution, die plötzlich im ganzen Land passiert. In allen Bereichen: in der Bildung, in der Kultur, in der Innen- und Außenpolitik", sagt die Theaterkritikerin Marina Davydova. Sie sieht die Schikanen gegen den offen schwul lebenden Serebrennikov als Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Kulturkampfes.

Inszenierungen aus der Ferne

Fast eineinhalb Jahre stand der Theater- und Filmregisseur unter Hausarrest. Die Behörden werfen ihm vor, er habe öffentliches Geld für Inszenierungen erhalten, die nie realisiert wurden. Serebrennikov streitet die Vorwürfe ab, das Vorgehen wird als Warnschuss gegen die manchem zu Kreml-kritische Kulturszene verstanden. Doch die besondere Produktivität des Künstlers konnte auch der Hausarrest nicht stoppen: Er brachte mit Hilfe seines Regieteams erfolgreiche Operninszenierungen in Zürich, Stuttgart und Hamburg auf die Bühne. Etwa Mozarts "Così fan tutte" 2016 in Zürich.

Wir sind mit diesem Künstler solidarisch. Wir glauben, dass diese Anklage letztlich vorgeschoben ist. Wir werden nicht daran mitwirken, seine Kunst kaputt zu machen
, Andreas Homoki, Intendant des Züricher Opernhauses

Obwohl Serebrennikov unter Hausarrest weder über Telefon noch Internet verfügte, führte er eine Art Fern-Regie. In minuziöser Kleinarbeit hatte er seine Inszenierung Takt für Takt in die Partitur von "Così fan tutte" notiert. Sein Anwalt gab dies an Serebrennikovs Assistenten Jewgeni Kulagin weiter, welcher Serebrennikovs Vorstellungen in Zürich umsetzte. Nach gleicher Methode entstanden auch "Hänsel und Gretel" an der Stuttgarter Oper und "Nabucco" in Hamburg.

Das Urteil steht noch aus

Kirill Serebrennikov ist eine Ausnahmeerscheinung. Er ist wohl ein zu frei denkender Mensch und ein zu heller Stern, sagt sein Anwalt. Sein Schicksal ist trotzdem ungewiss, auch wenn die russische und internationale Kunstszene ihn unterstützt. Zehn Jahre Haft drohen dem Regisseur, wenn er schuldig gesprochen wird.

Nach seiner Entlassung aus dem Hausarrest im April 2019 zeigte sich Serebrennikov optimistisch: "Ich bin froh, wenn dieser ganze Unsinn aufhört und wir beweisen, dass wir uns nicht schuldig gemacht haben. Ich nehme bald die Arbeit wieder auf, das ist psychologisch nicht ganz einfach, aber es steht ja viel an." Im September 2019 sah es zunächst so aus, als würde der Fall still fallengelassen. Damals entschied eine Richterin des Moskauer Meschtschanski-Gerichts, wegen der vielen Widersprüche, keinen Urteil zu fällen. Doch der Staatsanwalt legte daraufhin Berufung ein. Nun wird der Fall mit einer neuen Richterin verhandelt. Wann das Urteil fällt, ist offen.