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Wie übt man richtig? Die Tipps und Tricks der Profis

Stundenlanges Üben ohne Erfolg? Das hat Gründe und kann vermieden werden. Wann ist Üben wirklich effektiv? Wie festigt sich Geübtes im Gehirn? Ist ein Übetagebuch sinnvoll? Und: Warum verschlechtert sich die Leistung bei einem "Zuviel"? Eine Übersicht über die wichtigsten Tips für erfolgreiches Üben.

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"Nicht auf das Üben der Technik kommt es an, sondern auf die Technik des Übens", wusste schon Franz Liszt. Wie aber übt man am besten? Gibt es überhaupt die perfekte Strategie? Angehende Profimusiker verbringen in ihrer Kindheit und Jugend durchschnittlich 10.000 Stunden am Instrument – und zwar meist schon vor dem Musikstudium. Dabei machen manche schneller Fortschritte als andere. Alles eine Frage der Begabung – oder der richtigen Übestrategie?

1. Ziele setzen

Üben – wofür? Um den inneren Schweinehund zu überwinden, müssen wir uns motivieren. "Ich brauche ein Ziel", sagt Nils Mönkemeyer. Der Bratschist hat die Zeit des ersten Lockdowns als sehr schwierig empfunden. Keine Konzerte, keine Perspektive. Was da hilft? Zwischenziele, erklärt Mönkemeyer: "Wir müssen uns kleine Ziele setzen, um auf einen Punkt hinarbeiten zu können." Nützlich ist hier zum Beispiel ein Übetagebuch – mit Etappen- und Tageszielen. Hat man die erfüllt, darf man sich auch selbst eine kleine Belohnung schenken. Das motiviert zusätzlich.

2. Gymnastik am Instrument

Ob einzelne Töne, Tonleitern oder Etüden ... Unsere Muskeln müssen sich erst aufwärmen. Für Blechbläser ist das Einblasen besonders wichtig – und kostet Zeit. Eine Stunde plant Hornist Carsten Duffin dafür morgens ein, noch vor der Orchesterprobe. "Das ist wie beim Sportler", erklärt er. "Da zwickt es auch jeden Tag an einer anderen Stelle - mal im Knie, mal in der Hüfte." Der Musiker tut sich mal mit der Höhe schwer, mal mit der Mittellage. Umso wichtiger: "Immer einblasen! Immer."

3. Wiederholen ja, aber bitte richtig

Prof. Eckart Altenmüller | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nochmal und nochmal dieselbe Stelle: beim Üben ist das zentral. Wichtig ist dabei: Keine Fehler wiederholen und festigen. Gerade sehr schnelle und komplexe Bewegungsabläufe werden im Gehirn in den sogenannten Basalganglien abgespeichert. Dann läuft alles unbewusst und automatisiert ab. Eigentlich praktisch. Das Problem ist nur: "Die Basalganglien vergessen halt auch nichts", erklärt Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin. "Wenn ich etwas falsch in die Basalganglien einautomatisiert habe, brauche ich viele Monate Zeit, um das wieder herauszubringen." Eine falsche Bogenhaltung beim Geigespielen etwa benötigt bis zu 30.000 richtige Wiederholungen, laut einer russischen Studie.

4. So wird es präzise

Üben wir ein neues Stück, sind die Bewegungen unserer Muskeln zunächst recht grobmotorisch. "Da ist im Gehirn sehr viel mehr aktiv, als wir nachher für die Ausführung brauchen", so Altenmüller. Für die Feinmotorik ist unsere Großhirnrinde zuständig. Nach und nach werden so unsere Bewegungen immer feiner und koordinierter. "Beim Üben lernen wir, unsere Nervenzellaktivität zu hemmen." Die Feinmotorik ersetzt die Grobmotorik. Aber lässt sich die beliebig steigern? Eckart Altenmüller hat bei einer Studie herausgefunden: Profi-Pianisten müssen am Tag durchschnittlich drei Stunden und 45 Minuten am Instrument verbringen, um ihre feinmotorische Präzision weiter zu verbessern. Was sie in der Zeit üben, ist unerheblich.

Das Üben ist ein Prozess: Wir lernen, die Nervenzellaktivität zu hemmen.
Prof. Eckart Altenmüller, Musikermediziner

5. Schluss mit Prinzip Hoffnung – Probleme lösen!

Klappt eine Stelle nicht, helfen unzählige Wiederholungen oft nicht weiter. Statt nach dem "Prinzip Hoffnung" weiterzumachen, ist es sinnvoller, nach dem eigentlichen Problem zu suchen. Augustin Hadelich kennt das: Oft funktioniert eine Passage auf der Geige gut, wenn er sie langsam und isoliert spielt - nicht aber im Zusammenhang. "Das liegt oft daran, dass die Finger einfach von woanders herkommen oder die Bewegung im schnellen Tempo anders aussieht", erklärt der Geiger. Typisches Beispiel: schnelle Doppelgriffpassagen. Hadelichs Rezept: ein paar Mal langsam üben, dann sofort wieder im Tempo! "Einfach um zu sehen: Übe ich wirklich die richtige Bewegung?" Denn die soll ja in die Basalganglien einprogrammiert werden. "Sonst übe ich eine Situation, die ich am Ende gar nicht brauche", meint Hadelich.

Im schnellen Tempo sieht die Bewegung oft anders aus.
Augustin Hadelich, Geiger

6. Auch Technik mit Ausdruck üben

Nils Mönkemeyer | Bildquelle: Irène Zandel Einzelne Passagen rein technisch zu üben – davon hält Nils Mönkemeyer nicht viel: "Es ist wichtig, Abläufe in die musikalische Vorstellung zu integrieren." Das wird beim Üben häufig vergessen. "Wenn ich die Stelle zehn Mal langsam und sauber gespielt habe und dann mit voller Emotion, dann ändert sich natürlich auch der ganze Körper." Auch hier sehen die Bewegungen dann oft ganz anders aus. Mönkemeyers Fazit: "Man sollte Bewegungsabläufe nicht von dem abkoppeln, was ich eigentlich sagen möchte."

7. Üben mit routierender Aufmerksamkeit

Ein Tipp des verstorbenen Musikpädagogen und Cellisten Gerhard Mantel: Eine Passage mehrmals hintereinander üben und den Fokus jedes Mal auf einen anderen Aspekt legen: Lautstärke, Rhythmus, Tempo, Klangfarbe, Artikulation usw. Der Hirnforscher Eckart Altenmüller findet diese Übe-Strategie durchaus sinnvoll: "Selbst Hochprofis sind in der Regel nicht in der Lage, gut und präzise auf zwei Dinge gleichzeitig zu achten." Soviel zum Mythos des Multi-Tasking! Parameter, die einzeln beleuchtet werden, merkt sich das Gehirn hingegen viel besser – und behält sie bei, auch für die folgenden Durchläufe.

Unser Gehirn ist kein Parallelverarbeiter.
Eckart Altenmüller

8. Üben mit Variationen – doppelt hält besser

Bei dieser Übestrategie geht es darum, den Original-Notentext zu verändern, beispielsweise durch rhythmische Varianten. "Da haben wir dann immer abwechselnd schnelle und langsame Bewegungen dabei. Und die werden an zwei unterschiedlichen Stellen im Gehirn abgespeichert", erklärt Altenmüller. Die sehr schnellen Abläufe in den Basalganglien, den Automatisationszentren, die langsamen in der Großhirnrinde. "Wenn man ein Bewegungssteuerprogramm doppelt abgelegt hat, kann man sehr leicht hin- und herspringen. Dann kann man das Stück auch in jedem Tempo sehr gut reproduzieren." Varianten erhöhen außerdem die Motivation beim Üben und verhindern eine einseitige Belastung bestimmter Muskelgruppen.

9. Pausen und Schlaf wirken Wunder

Niemand kann viele Stunden am Stück effektiv üben. Körper und Geist brauchen Pausen. "Nach 50 Minuten werden meine Finger müde", sagt Augustin Hadelich. "Dann mache ich eine Pause". Aus eigener Erfahrung weiß der Geiger, dass ansonsten die Gefahr sich zu verletzen zunimmt. Eine Übeeinheit von etwa einer Dreiviertelstunde ist gut, findet auch Eckart Altenmüller. Dann braucht auch der Kopf eine kurze Pause. Am besten festigt sich das Geübte übrigens im Schlaf. Ideal ist: morgens üben und einen Mittagsschlaf halten. "Was das Üben am Instrument angeht, ist es wichtig, dass man frisch und gut ausgeruht ist – und dass das Gehör noch wenig gehört hat. Dann funktionieren die Haarzellen im Innenohr am besten", rät Altenmüller.

10. Nicht zu viel üben – Vorsicht: Penelope-Effekt

Prof. Eckart Altenmüller | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nach der griechischen Sage wartete Penelope zwanzig Jahre lang auf Odyssues Rückkehr. Zahlreiche Freier bedrängten sie, erneut zu heiraten. Penelope behauptete, erst ein Totengewand für ihren Mann anfertigen zu müssen. Tags webte sie, nachts trennte sie es wieder auf. Ähnlich ist es, wenn wir zu viel üben. Was wir uns scheinbar mühsam erarbeiten, ist in Wirklichkeit verlorene Zeit - schlimmer noch: die Leistung verschlechtert sich sogar. Das Phänomen kennen wir aus der Sportpsychologie. Aber auch bei Musikern kommt es vor.

Zu langes Üben kann die zuvor mühsam erarbeiteten Bewegungsprogramme wieder zerstören, sagt Eckart Altenmüller: "Da spielt die muskuläre Ermüdung eine Rolle. Bei Flötisten beispielsweise ist es wichtig, dass die Gesichtsmuskulatur elastisch bleibt. Verspannt sie sich, wird der Ton schrill und die Intonation schlechter." Üben wir dann weiter, merkt sich unser Gehirn die schlechte Haltung und den schrillen Ton. "Das führt langfristig zu einer Verschlechterung der Leistung." Auch unsere Konzentration lässt nach, wenn wir zu viel üben.

11. Mental üben – effektiv und spart Zeit

Ohne Instrument zu üben, ist eine gute Möglichkeit, wenn wir beispielsweise im Zug sitzt, die Zeit aber sinnvoll nutzen möchten. Das geht so: Notentext anschauen, einprägen und sich alle Bewegungen genau vorstellen, ebenso den Klang. Der Übe-Effekt für unser Gehirn ist übrigens derselbe, wie wenn wir mit Instrument üben. "Da sind genau dieselben Areale aktiv", erklärt Altenmüller. "Mentales Üben ist sehr anstrengend, aber das Wissen, das man sich auf diese Weise aneignet, ist in der Regel sehr viel tiefer und stabiler." So gesehen, spart das mentale Üben langfristig auch Zeit.

Beim mentalen Üben ist die Aktivität im Gehirn dieselbe.
Eckart Altenmüller

Kit Armstrong übt fast immer ohne Instrument: "Ich spiele seit mehr als 20 Jahren Klavier. Deshalb kann ich die meisten manuellen Kunstgriffe einfach schon ausführen", erklärt der Pianist. Er schaut sich beim Üben oft einfach nur die Noten an. Für Armstrong ist das vergleichbar mit dem Lesen eines Textes. Die Aussprache braucht er nicht zu üben, aber er muss den Sinn erfassen und sich überlegen, wie er ihn interpretieren möchte.

12. Notentext auswendig lernen – und zwar kreativ!

Augustin Hadelich | Bildquelle: Luca Valenta Solisten spielen in der Regel auswendig. Wer kein fotografisches Gedächtnis besitzt, muss sich den Notentext gut einprägen. Worauf man sich nicht verlassen sollte, ist das sogenannte Fingergedächtnis: Üben wir ein Stück lange genug, "wissen" unsere Finger irgendwann von selbst, wo sie hin müssen. In einer stressigen Konzertsituation kann es aber zu Aussetzern kommen, warnt Augustin Hadelich. Er hat eine andere Methode entwickelt: Er spielt die Geigenstimme zwischendurch probeweise auf dem Klavier – und zwar mit der rechten Hand. "Dann bleibe ich an genau den Stellen stecken, die ich noch nicht gut genug auswendig gelernt habe", erklärt er. "Das sind dann wie zwei Gedächtnisse desselben Stückes nebeneinander."

13. Schluss mit Panik – Auftritt mental üben

Lampenfieber kennt jeder Musiker. Etwas Adrenalin ist hilfreich. Haben wir zuviel davon, beginnen wir zu schwitzen und zu zittern. Deshalb sollten wir uns schon im Vorfeld zurückliegende positive Bühnenerfahrungen in Erinnerung rufen. Und auch beim Üben sollte man sich immer wieder die Situation auf der Bühne vorstellen. "Das geht bei mir so weit, dass ich versuchet, ähnlich zu atmen wie auf der Bühne", verrät Augustin Hadelich. Die Atmung ist eines der Dinge, die bei Stress schnell außer Kontrolle geraten. Aber wir können sie auch bewusst steuern und einsetzen. Augustin Hadelich beispielsweise atmet gerne vor einem schwierigen Lagenwechsel ein. Denn das beeinflusst unter Umständen die Position der Geige so, dass der Lagenwechsel leichter gelingt. Sicherheit verschafft es ihm allemal, wenn die Situation auf der Bühne ähnlich ist wie beim Üben.

Ich versuche, beim Üben so zu atmen wie auf der Bühne.
Augustin Hadelich

14. Soforthilfe: Treppensteigen gegen Lampenfieber

Carsten Duffin steht als Hornist im Orchester häufig unter Druck. Ein verpatztes Solo kriegt jeder mit. Was ihm hilft, sind Sport und Yoga. Er kann sich besser konzentrieren. Wer unter massiver Auftrittsangst leidet, für den hat Mentaltrainer Andreas Burzik noch einen anderen Tipp: Erdungsübungen – wie in den Boden stampfen. "Das bringt die Energie wieder runter. Ansonsten zieht Adrenalin immer nach oben, wir spüren dann nicht mehr gut und sind nicht mehr so in Kontakt mit dem Instrument." Auch hilfreich: zehn Minuten vor dem Auftritt Treppensteigen. Denn grobmotorische Bewegungen bauen überschüssiges Adrenalin ab.

15. Üben im Flow – mit Lust!

Es ist eine völlig andere Herangehensweise als herkömmliches Üben: "Beim Üben im Flow übt man kein Stück, sondern kultiviert Sinneseindrücke", erklärt Andreas Burzik. "Man spielt sich langsam an Schwierigkeiten heran." Der Mentaltrainer hat die Methode selbst entwickelt. Sein Ziel: Musiker sollen sich auf drei Sinneskanäle fokussieren: Hören, Tasten und das kinästhetisches Bewegungsgefühl. Also: Wie fühle ich mich in meinem Körper? "Traditionelles Üben setzt auf Mechanisierung", sagt Andreas Burzik. "Der Lernmechanismus beim Üben im Flow geht über Lusterfahrungen. Durch dieses Sich-vorsichtig-Heranspielen an die gewünschte Fassung greift das Gehirn in dem Moment zu, wo Sie eine Fassung erreicht haben, die sehr nah an dem ist, was Sie sich wünschen." Das Ergebnis: Das Gehirn schüttet Dopamin aus und merkt sich dadurch das Geübte viel tiefer.

Sendung: "Musik-Feature: Üben macht den Meister. Vom Training in der Musik"
am 11. Dezember 2020 um 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK.