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Buchtipp - "Klassikkampf" Gegen die Oberflächlichkeit des Musikbetriebs

Seliger möchte nichts weniger als die klassische Musik retten - vor dem aktuellen Musikbetrieb samt seiner Markthörigkeit und dem dazugehörenden, seiner Meinung nach verdummenden Marketing. Sein Buchtitel darf also durchaus als Warnung verstanden werden.

"Klassikkampf - Ernste Musik, Bildung und Kultur für alle" von Bertold Seliger | Bildquelle: Matthes & Seitz Berlin

Bildquelle: Matthes & Seitz Berlin

Der Buchtipp zum Anhören

Immerhin dauert es bis Seite 183, bevor Bertold Seliger den Titel seines Buchs erklärt.

"Durch mehr als zwei Jahrhunderte Geschichte der klassischen Musik zieht sich das, was ich 'Klassikkampf' nenne: Eine Auseinandersetzung zwischen traditionellen Hörern und den modernen Hörern, die sich an Grenzüberschreitungen, an Verletzungen des Regelwerks und an kompositorischen Neuerungen geradezu begeistern. Eine Auseinandersetzung zwischen denen, die im Konzert eine Aneinanderreihung von 'schönen Stellen' erwarten, und denen, die eine Erweiterung des Darstellbaren, Kühnheit und Wildheit wünschen."

Mit Stärken und Schwächen

Keine Frage, Seliger plädiert für Zweiteres. Schon der eigenwillige Titel seines Buchs "Klassikkampf" verweist aber gleichermaßen auf Stärken wie Schwächen des Buches. Die Stärken bestehen darin, dass der Autor durchaus kenntnis- und faktenreich die vielen Untiefen und Oberflächlichkeiten des Musikbetriebs der klassischen Musik benennt und diese auch deutlich kritisiert. Etwa die immer stärkere Verengung des Konzertrepertoires oder die so sehr aufs Äußerliche und Oberflächliche ausgerichteten Vermarktungsstrategien.

"Die Marketingaktivitäten der Klassikindustrie haben alles zum Produkt gemacht. Sie machen Interpreten zu Interpreten-Darstellern. Es kommt aufs Aussehen an, nicht auf die Musik. Warum muss die Sopranistin Danielle de Niese auf dem Promofoto ihrer Plattenfirma im kurzen Kleidchen auf dem Parkettboden eines Zimmers positioniert werden? Warum steht über dem Portrait der Sopranistin Christiane Karg (natürlich schulterfrei) auf ihrem Album nur groß 'Parfüm'? Verkaufen die Sängerin oder ihre Plattenfirma Kosmetika?"

Mit den Argumenten der Altlinken

Die Schwächen von Seligers Buch liegen in der argumentativen Fokussierung auf linke bzw. altlinke Gesellschaftstheorien und Denkmodelle, die er für die Analyse des Bestehenden nahezu ausschließlich verwendet. Das wirkt mitunter schon etwas antiquiert und nimmt dem Buch einiges an Qualität und Originalität.

"Zur Kette von Befestigungswerken, die sich die bürgerliche Gesellschaft zur Absicherung ihrer kulturellen Hegemonie errichtet hat, muss der musikalische Werkkanon gezählt werden. Die herrschende Kultur ist immer die Kultur der Herrschenden."

Ein Plädoyer für mehr musische Bildung

Ob die Klassik eine Erfindung der Bourgeoisie ist, wie Seliger postuliert, mag dahingestellt sein. Die Frage ist, ob man dem zweifelsohne stark kommerzialisierten Musikbetrieb der klassischen Musik argumentativ mit solch klassenkämpferischen Parolen beikommt. Der Titel ist hier durchaus als Warnung zu verstehen. Da scheint ein anderer Ansatz, den Seliger erfreulicherweise auch in seinem Buch anführt, doch zielführender zu sein: die Forderung nach einer Verstärkung der musischen Bildung und Erziehung. Interessanterweise kritisiert er hierbei vor allem die 68er-Generation, die kulturelle Bildung im vermeintlichen Kampf gegen den bürgerlichen Elitarismus geschliffen hat.

Zum Autor

Berthold Seliger, geboren 1960, ist Konzertagent und Autor und lebt in Berlin. Er betreibt seit über 20 Jahren eine eigene Konzertagentur und vertritt unter anderem Künstler wie Patti Smith, The Residents, Television und Tortoise. Seliger publiziert regelmäßig über musik- und kulturpolitische Themen.

"Erst im Lauf der folgenden Jahrzehnte, als die Alt-Achtundsechziger während ihres 'Marsches durch die Institutionen' an den Schalthebeln kultur- und bildungspolitischer Institutionen angelangt waren, brachten die von ihnen häufig vertretenen kunstfeindlichen und den vermeintlichen Luxus der Opernhäuser und Symphonieorchester drastisch beschneidenden Entscheidungen einen nachhaltigen Backlash für die klassische Kultur, aber auch für die Allgemeinbildung - Partiturkenntnis oder Instrumentalspiel galten als 'bürgerlich' und wurden zur Sache von Spezialisten."

Bertold Seligers "Klassikkampf" ist trotz seiner altlinken Stoßrichtung ein interessantes und lesenswertes Buch über den Klassikbetrieb, seine Probleme und Chancen. Denn darum geht es dem begeisterten Musikfan Seliger vor allem: für die Bedeutung des enormen geistig-kulturellen Schatzes der klassischen Musik und ihrer persönlichkeitsbildenden und bewußtseinserweiternden Kraft zu werben und sie zu fördern - jenseits aller oberflächlichen Vermarktung und Verharmlosung.

Infos zum Buch

Berthold Seliger
Klassikkampf
Ernste Musik, Bildung und Kultur für alle

496 Seiten, Broschur
Matthes & Seitz Berlin
Preis: 24,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 1. Februar 2018 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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