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Buchtipp – Albrecht Selge: "Beethovn" Eigenwilliges Beethoven-Porträt

Waghalsige Wortschöpfungen haut er nur so raus: Wer Albrecht Selges Blog "111 Konzertgänger" kennt, dem sind bald schon viele andere Kritiker zu blumig, selbstverliebt und abgeklärt. Weil Selge seine Hörerlebnisse durchknetet wie der Bäcker den Hefeteig, also sorgfältig und intensiv. Entsprechend sind seine Texte knusprig, aber nicht immer leicht bekömmlich. Passend zum Beethovenjahr hat er ein neues Buch geschrieben mit dem simplen Titel "Beethovn". Doch geht es in diesem Roman alles andere als simpel zur "Sache Beethoven".

Buchcover – Albrecht Selge: "Beethovn" | Bildquelle: Rowohlt, Berlin

Bildquelle: Rowohlt, Berlin

Der Buchtipp zum Anhören

"1822 – Beethoven war nicht da." Das ist erstmal der einzige verständliche Satz in diesem Buch! Danach beginnt eine verzwickte Beethoven-Schnitzeljagd. In der bildet Selge mit verschachtelten Satzkonstruktionen ab, wie ein junger, komponierender Fan aus Darmstadt nach Beethoven sucht:
"….nach Alt-Lerchenfeld in ein ebenerdiges Haus Zu den zwei Wachsstöcken, wo ihm eine schwitzende, ihn nervös machende Frau gesagt hatte, Herr von Beethowen habe hier nur kurz gewohnt; ins Haus Zum schwarzen Adler in der Landstraßer Hauptstraße, den Ausläufer eines aufgehobenen Augustinerklosters, wo er, den in der Rocktasche steckenden Alma- nach Aglaja mit der herausgerissnen Seite auf dem Oberschenkel spürend, über die dunkle Hauptstiege in den zweiten Stock gegangen war, um dort vergeblich …"

Kein Frühlingssonatenspaziergang

Weder für den suchenden Musikus namens Schlösser noch für den Leser ist das, was Selge macht, ein erquicklicher Frühlingssonatenspaziergang. Vielmehr stiefelt man mühsam durch Wiens miefende, verwinkelte Gassen, plagt sich durch Personennamen, Straßen, Orte, Gasthäuser. Immer wieder strandet man in irgendwelchen Satz-Sackgassen. Mehrmals musste ich das Buch von vorne beginnen.

Draufgängerisches Allegretto

Aquarellierte Zeichnung von Joseph Weidner | Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn, Sammlung H. C. Bodmer Beethoven beim Spaziergang in Rückansicht, 1823. Aquarellierte Zeichnung von Joseph Weidner | Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn, Sammlung H. C. Bodmer Bis ich dann endlich den verschlungenen Pfad in die Beethoven-Geschichte gefunden habe. Und, um es gleich vorweg zu nehmen: Mit "zwangvoller Plage, Müh ohne Zweck" hat das nichts zu tun. Im Gegenteil. Selge schreibt in diesem Dschungel der ersten Seiten eine vielschichtige Ouvertüre, gespickt mit vielen Synkopen, als draufgängerisches Allegretto – als Wort-Musik ohne Noten. Er führt lässig ein paar Figuren und Motive ein, die im Laufe der Story wiederauftauchen: ein beleibter Geiger etwa (sicher Schuppanzigh, der mit seinem Ensemble mehrere von Beethovens Streichquartetten uraufführte) oder das Fidelio-Motiv (als Sinnbild für Liebessehnsucht). Außerdem lernen wir ein Strickmuster des Buches kennen, nämlich wie Selge aus Werktiteln und berühmten Beethoven-Zitaten Geschichten spinnt. Und nicht zu vergessen, auch das bekommen wir gleich in den ersten Seiten serviert: Der Wein ist Beethovens Lebenselixier – er wird flaschenweise konsumiert. Seine Nahrung holt sich Beethoven hauptsächlich aus der Natur. Er ist sozusagen ein ganz besonderer Ableger innerhalb der Spezies "Jäger und Sammler".

Kurz und bündig

Dieses Buch hat gefehlt, weil …
… endlich mal jemand nicht versucht, Beethoven zu verstehen.

Dieses Buch liest man am besten …
… nur in Gesellschaft einer Flasche Wein.

Dieses Buch führt bei Überdosis …
… sicher nicht zu Taubheit.

Beethoven, Bettofen, Beethouven, Betofn, Beeethoveeen

Im ersten Kapitel, 1822, ist der junge Komponist und Virtuose Louis Schlösser das Vehikel, das uns in Beethovens Leben transportiert. In den folgenden Lebensjahren bis zu Beethovens Tod 1827 schauen wir auf den großen "Beethoven, Bettofen, Beethouven, Betofn, Beeethoveeen" – ein nettes Namenswortspiel am Rande, das sich durch das ganze Buch zieht. Auf diesen Ludwig van Beethoven schauen wir also aus den Augen der opiumberauschten unsterblichen Geliebten, aus dem Blickwinkel einer kranken Prostituierten, aus der Perspektive des Neffen Karl, den Beethoven bei sich aufgenommen hat und dem er Klavierunterricht gibt.

Faule Eier auf der Straße

Federzeichnung, um 1825, von Johann Peter Lyser (1803-1870) | Bildquelle: picture alliance/akg-images Ludwig van Beethoven. Federzeichnung, um 1825, von Johann Peter Lyser | Bildquelle: picture alliance/akg-images Natürlich lässt der Autor Albrecht Selge den cholerischen, tauben Beethoven faulige Eier auf die Straße feuern, natürlich entlässt der tollwütige Beethoven auch in diesem Buch seine Hausangestellten, zieht zigmal um, hütet seine Kaffeebohnen mit Argusaugen. Wer in Selges "Beethovn" sauber sortierte, akademisch fundierte biographische Fakten erwartet, dem bringt das Buch nichts. Aber braucht es das denn in diesem Jahr überhaupt? Noch eine penibel notierte Lebensgeschichte mit hunderttausend Fußnoten? Nein, es braucht genau so eine vielschichtige, vor Anspielungen strotzende, sinnliche Geschichte, die einen als Leser zum Schmunzeln und Grübeln bringt, weil ein fundierter Beethoven-Kenner und Liebhaber wie Selge mit Versatzstücken, Zitaten, Sonatentiteln jongliert, als wären es rohe Eier.

Kalkuliert verspielt

"Beethovn" von Albrecht Selge ist eine Annäherung an Beethoven mit vielen Irrungen und Wirrungen und herrlichen Wortspielereien wie "Klavierklepper" und "Klavierpäppler" – so kalkuliert verspielt, wie manch eine Beethovensonate.

Infos zum Buch

Albrecht Selge:
"Beethovn"
Verlag Rowohlt, Berlin
237 Seiten
Preis: 22,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 04. Februar 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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