Persönlich, engagiert und wohlmeinend haben sich der Psychiater Andreas Hillert, seine Ehefrau, die Pianistin Christina Lemnitz und der studierte Sänger und Agent David Molnár zusammengetan, um den Träumereien von angehenden oder noch nicht in der Realität angekommenen Opernsängern mit diesem Buch ein Ende zu setzen. Dass dabei ziemlich schonungslos und auch provokant alle Beteiligten Berufsgruppen im Operngeschäft unter die psychologische Lupe genommen werden, verstört zunächst.
Bildquelle: Verlag Neue Musik
Buchtipp
Überlebenstraining für Opernsänger
Doch wenn man sich an den zynischen Unterton im Plauder-Schreibstil gewöhnt hat, liefert dieses Buch ein paar erhellende Erkenntnisse und trifft mitten in dunkle Punkte des Metiers. Jedes Kapitel stößt heftig zum Nachdenken oder Widersprechen an, beispielsweise wenn es um die Unmöglichkeit des perfekten Gesangsunterrichts oder über die Ausbildung an Musikhochschulen geht:
An Ihrer Hochschule zählt absolut und einzig nur die künstlerische und pädagogische Qualität? Gratulation! An welcher Hochschule studieren beziehungsweise arbeiten Sie? In welcher Welt leben Sie?
Statistische Zahlen und aussagekräftige Daten über die Anzahl der gescheiterten Sänger pro Abschlussjahrgang einer Hochschule liegen nicht vor. Die Autoren rechnen stattdessen mit Erfahrungswerten. Der Psychotherapeut Andreas Hillert erläutert psychosoziale Muster in der Beziehung zwischen Sängern, Lehrern, Intendanten oder Regisseuren. Auch die Bedeutung von Beziehungen wird klar zur Sprache gebracht. Ja, Sex spielt eine Rolle im Metier. Es gibt sie, die verliebten Lehrer, geilen Professoren, erotisierten Intendanten und Manager, die nichts anbrennen lassen.
Wussten Sie wirklich nicht, wie viele Verhältnisse mit jungen Sängerinnen / attraktiven Sängern der Betreffende hatte?
Hillert analysiert auch das Streben nach Publikums-Sympathie und erklärt die Unmöglichkeit einer objektiven Beurteilung von sängerischer Leistung.
Sehr interessant ist das Kapitel "Persönlichkeiten". Hier erläutert der Fachmann das menschliche Rollenverhalten. Außerdem bietet er Persönlichkeits- und Motivations-Checklisten als Entscheidungshilfen für Sänger. Hilfe zur Selbsterkenntnis ist das gut gemeinte Hauptanliegen dieses Buches. Dass die Entscheidung, Künstler zu werden selten aus rationalen Gründen getroffen wird, kann es wohl oder übel nicht ändern.
Wer Sicherheit braucht, ist in diesem Beruf absolut verkehrt.
Dieses Zitat stammt aus einem abgedruckten Gespräch mit einem relativ erfolgreichen Opernsänger. Der Rat der Autoren, sich parallel zum Sängerberuf ein weiteres berufliches Standbein aufzubauen ist absolut ernst gemeint und mit guten Beispielen untermauert:
Die Alternative kann kategorisch woanders liegen als auf der Opernbühne. Sie kann aber auch musiknah und integrativ sein ... Wer Plan B frühzeitig in Angriff nimmt, kommt zwar nicht zwangsläufig in den Himmel, aber potenziell fast überall hin.
Ja, es sieht hinter der Bühne vollkommen anders aus, als die glänzende Welt der Opernstars nach außen vorgibt. Das erfährt jeder Sänger sehr bald und in zugespitzter Form nun auch der Leser dieses Buches. "Opernsänger- Überlebenstraining" richtet sich vor allem an junge Menschen, die den Beruf trotzdem ergreifen möchten und ist für alle, die mit der Opernwelt zu tun haben, oder sich dafür interessieren. Wenn Sie immer schon einmal wissen wollten, was es mit der eigenartigen Spezies der Opernsänger wirklich auf sich hat, sollten Sie zumindest einige Kapitel dieses Buchs lesen - vorausgesetzt, Sie sind nicht zu zart besaitet.
Andreas Hillert | Christina Lemnitz | David Molnár
Opernsänger - Überlebenstraining - Was Sänger nicht fragen, aber wissen sollten
Ein psychologischer Ratgeber für angehende Opernsänger und ernüchternde Dokumentation der Schattenseiten eines Traumberufs
Taschenbuch, 200 Seiten
19,80 €
Verlag Neue Musik