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Buchtipp – Hanns-Josef Ortheil: "Wie ich Klavierspielen lernte" Musik überwindet die Sprachlosigkeit

Musik spielt in den Büchern Hanns-Josef Ortheils eine sehr wichtige Rolle, in seinen Romanen genauso wie in Sachbüchern über Mozart, Schumann oder Johann Sebastian Bach. Von seinen pianistischen Ambitionen hat er bereits in dem autobiografischen Roman "Die Erfindung des Lebens" erzählt. Sein jüngstes Buch "Wie ich Klavierspielen lernte" konzentriert sich ganz auf die pädagogischen Methoden, mit denen er als durchaus begabter Klavierschüler, der von einer Karriere als Pianist träumte, unterrichtet wurde.

Buchcover "Wie ich Klavierspielen lernte" von Hanns-Josef Ortheil | Bildquelle: © Suhrkamp / Insel

Bildquelle: © Suhrkamp / Insel

Der Buchtipp zum Anhören

Hanns-Josef Ortheil neues Buch beginnt eindrücklich: Ortheil musiziert als Kind mit seiner Mutter. Sie ist stumm. Die tragischen Gründe dieser Sprachlosigkeit hat Ortheil schon mehrfach in seinen Werken geschildert: Nach dem Verlust von vier Söhnen verstummte seine Mutter in Trauer. Und auch Ortheil selbst blieb zunächst sprachlos und formulierte ganze Sätze erst als Siebenjähriger.

Wie ihm und der Mutter die Musik zurück zur Sprache und damit zur menschlichen Welt geholfen hat, schildert der Autor jetzt in seinem autobiografischen Roman "Wie ich Klavierspielen lernte". Die Musik überwindet als weltumspannende Sprache nicht nur die Sprachgrenzen, sondern in diesem Fall die Sprachlosigkeit zwischen der Mutter und der Romanfigur Johannes – Hanns-Josef Ortheils Alter Ego, zu Beginn des Romans fünf Jahre alt. Zeitlich erstreckt sich der Erzählrahmen von Mitte der 50er-Jahre bis in die 70er.

Kontaktaufnahme mit dem fremden Ding

"Das Klavier der Firma Seiler bleibt in den fünfziger Jahren zunächst auf Distanz in unserem Wohnzimmer stehen", erzählt Johannes ziemlich zu Beginn des Romans. "Mein Vater schaut es oft an, berührt aber keine Taste. Ich erkenne sofort, dass er mit dem Instrument nicht umgehen kann und gewiss kein Klavierspieler ist. Bei meiner Mutter dagegen ist das anders, nach wenigen Tagen fängt sie an, sich um das Klavier zu kümmern, und an der Art, wie sie das tut, erkenne ich, dass sie mit dem fremden Ding Kontakt aufnehmen will."

Skurrile Unterrichtsmethoden

Johannes' Mutter wird zu seiner ersten Lehrerin. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit im Internat Nonnenwerth auf einer Rheininsel bei Bonn verbracht. Dort durfte sie auf dem Flügel üben, mit dem einst Franz Liszt seine Zuhörerschaft verzauberte und so will sie ihrem Sohn ausschließlich Schumann, Chopin und Liszt zugänglich machen. Der Unterricht erfolgt ohne Noten, die Mutter spielt vor, der Sohn spielt nach. Nach einem halben Jahr nur mit Musik beginnen Mutter und Sohn wieder zu sprechen.

Hanns-Josef Ortheil, Schriftsteller, in Mainz, 2009. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Autor Hanns-Josef Ortheil | Bildquelle: picture-alliance/dpa Schon bald gibt sie die musikalische Erziehung des Sohnes in professionelle Hände. Geschult wird das junge Talent in der Tradition russischer Pianisten von Frau Waigel und danach von zwei strengen älteren Herren: Herr Bergdorf unterrichtet voll tiefem Ernst nach der Methode von Walter Gieseking, bei der es um Körperhaltung, Muskulatur und die Berechnung des Anschlags geht. Und Walter Fornemann lehrt musikalische Bildung und Harmonielehre. Wir erfahren in Ortheils Roman viel über die pädagogischen Strömungen der 60er und 70er Jahre und deren skurrile Unterrichtsmethoden. Bergdorf verlangt vom Schüler beispielsweise eine eigenwillige Herangehensweise an ein Stück ab: "Es sagt nämlich, dass ich die Klaviersonate des Komponisten Ditters von Dittersdorf zunächst keineswegs üben oder spielen, sondern ausschließlich lesen werde. Ich soll die auswendig gelernten Noten aufschreiben und dadurch beweisen, dass ich mich mit dem Stück vertraut gemacht habe."

Die Zuhörer haben das Gefühl, eine weite, unendlich schöne, aber auch gefährliche Reise mitgemacht zu haben.
Zitat aus dem Buch – zu einem Konzert Glenn Goulds

Beeindruckt von Schumann

Besonders beeindrucken den jungen Klavierschüler die "Musikalischen Haus- und Lebensregeln" der Schumanns. Und prägend war der damals noch umstrittene Glenn Gould, den er in einem Konzert bei den Salzburger Festspielen Anfang der 60er-Jahre erlebte. "Als der letzte Ton der Goldbergvariationen verklingt, ist es im Konzertsaal sehr still", erinnert er sich. "Auch Glenn Gould rührt sich nicht, sondern hat die Augen geschlossen, und die Zuhörer haben das Gefühl, eine weite, unendlich schöne, aber auch gefährliche Reise mitgemacht zu haben."

Schinderei für einen Traumberuf

Sein Kindheitswunsch, ein großer Pianist zu werden, scheitert schließlich. Eine Sehnenscheidenentzündung beendet seine Karriere gerade dann, als er in Rom mit einem begehrten Liszt-Stipendium endlich auf den Weg an die Spitze war. Ortheil erzählt interessant und spannend aus zweifacher Perspektive: Neben den Erinnerungen an Kindheit und Jugend gibt es eine Gegenwartsebene, in der er sich wie damals wieder an den Flügel setzt und zu üben beginnt. Dabei reflektiert er die Schattenseiten seines früheren Traumberufes, die mit der Schinderei eines Leistungssportlers vergleichbar sind. Es ist ein sehr persönliches und unterhaltsames Buch, allerdings verlangen einige auf Musik bezogenen Passagen doch ein wenig Kenntnis der Materie. Sympathisch macht das Buch, dass der menschliche Aspekt deutlich wird – die Freude an der Musik ist Ortheil bis heute geblieben.

INFOS ZUM BUCH

Hanns-Josef Ortheil:
"Wie ich Klavierspielen lernte"
Insel Verlag, Berlin
318 Seiten
Preis: 24,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 30. August 2019 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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