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Buch - "Geräusch - das Andere der Musik" Ein Buch zu den Grenzen des Musikalischen

Wo hören Geräusche auf und wo beginnt Musik? Die Grenzen zwischen beiden sind wohl fließend: aus Störgeräusch wird Musik, aus Wohlklang Lärm. Das Buch "Geräusch - das Andere der Musik" versucht herauszufinden, was Musik ausmacht.

"Ein musikalischer Klang erscheint dem Ohre als ein Schall, der vollkommen ruhig, gleichmäßig und unveränderlich dauert, so lange er eben besteht, in ihm ist kein Wechsel verschiedenartiger Bestandteile zu unterscheiden. Ihm entspricht also eine einfache und regelmäßige Art der Empfindung ...". So beschreibt der Physiker Hermann von Helmholtz vor 150 Jahren einen musikalischen Klang.

Ganz im Gegensatz zum Geräusch. Denn das ist in der Unterscheidung von Helmholtz eher ein akustisches Durcheinander ...

... bei dem viele verschiedenen Klangempfindungen unregelmäßig gemischt sind.
(Helmholtz)

So schreibt es Helmholtz 1863. Seit diesen frühen Abgrenzungen hat sich viel getan. Das zeigt der Band "Geräusch - das Andere der Musik. Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen". Gerade in der Neuen Musik und der elektronischen Popmusik ist das Geräusch längst fester Bestandteil und kein unerwünschtes akustisches Übel mehr.

Geräusch als Rohstoff der Tonkunst

Einer der Herausgeber der Aufsatzsammlung ist Christoph Haffter. Er schreibt in seinem Essay, für ihn sei das Geräusch "der Rohstoff der Tonkunst" und nicht etwas gänzlich Anderes:

Vielmehr ist es jenes Andere, aus dem sich die Musik immer erst gewinnen muss; und von dem sie sich niemals wird freimachen können. Keine Musik ist von Geräuschen gereinigt, jedem Wohlklang ist ein Rauschen eigen.
(Haffter)

Töne ohne Geräuschanteil wirken sehr steril und unnatürlich. Glocken oder Metallophone können schon sehr rein klingen, sind es aber im Vergleich mit einer kürzlich erzeugten Sinusschwingung nicht wirklich.

Matthew Herberts "One Pig"

Wohl ein Extrembeispiel der Geräuschmusik ist die Musikalisierung eines Schweinelebens durch Matthew Herbert in "One Pig" von 2011. In seiner Arbeit verwendet der britische Künstler Geräusche von der Geburt, vom Leben im Stall bis zur Schlachtszene. Selbst das "Leben danach" ist Bestandteil seiner Soundcollage - er nimmt die Haut als Trommelfell und Knochen als Trommelschlägel.

Bastian Zimmermann hat diese und andere Aufnahmen eingehend analysiert und schreibt in seinem Aufsatz: "Das Schwein hat gezeigt, dass die Etablierung einer musikalischen Ordnung dazu tendiert, ihren Grund, ihre Herkunft, ihre Klangproduktion vergessen zu machen, zu verdrängen.“
Kaum ist etwas rhythmisiert und organisiert, beginnen wir, die übergeordnete Struktur zu erkennen und wertzuschätzen. An das zugrundeliegende Material denken wir nicht mehr, selbst, wenn es vielleicht "ethisch beunruhigenden Ursprungs" ist. Deshalb nennt Zimmermann seinen Aufsatz auch "Musik und Vergessen“.

"Geräusch - das Andere der Musik"

In diesem spannenden und gut lesbaren Band gibt es viel zu entdecken! Die Betrachtung von Geräusch- und Klangwelten des Komponisten Jörg Widmann ist der einzige Text, der sich mit herkömmlichen Musikinstrumenten beschäftigt. Bei den übrigen geht es um Geräusch- und Klangtheorien in der Musikgeschichte und um Klänge außermusikalischen Ursprungs.
Leider liegt dem Buch keine CD mit Hörbeispielen bei. Nach den im Buch angerissenen Klangwelten muss man selbst forschen, zum Beispiel im Internet. Es macht aber Spaß, all den Hinweisen zu folgen und die Aufsatzsammlung als eine Art Reiseführer zu benutzen: durch die Welt der Geräuschmusik.

Camille Hongler/ Christoph Haffter/ Silvan Moosmüller (Hg.): "Geräusch - das Andere der Musik"

Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen

198 Seiten
erschienen im transcript-Verlag

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