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Buchtipp – "Über die Linie" von Eleonore Büning Eine Rihm-Biografie? DIE Rihm-Biografie!

Er nannte sie "plemplem", sie ihn einen "Epigonen", dessen Musik nicht Eigenes, weder Farbe noch Ausdruck habe. Was als Streit begann, wuchs sich zu einer jahrzehntelangen Freundschaft aus. Nun hat die Journalistin Eleonore Büning ein Buch geschrieben über ihren Freund Wolfgang Rihm. Eine Biografie, ein Kompendium über das Leben und Wirken des bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten Deutschlands.

Buchcover Eleonore Büning: Wolfgang Rihm – Über die Linie | Bildquelle: Benevento

Bildquelle: Benevento

Wie viel Nähe, wie viel Distanz verträgt eine Biografie eigentlich? Kann es gelingen, im Falle freundschaftlicher Zugewandtheit einen kritischen Blick auf das Leben und Wirken der portraitierten Person zu werfen? Es kann.

Wolfgang Rihm als Straßenbahnfan und Schulschwänzer

Wolfgang Rihm gilt als preisbehangene Komponiermaschine, als bedeutendster Komponist der Gegenwartsmusik, als gebürtiger und bis heute überzeugter Karlsruher. In Eleonore Bünings Biografie lernt man Rihm nun auch als Reisemuffel kennen und als New-York-Besucher. Als sitzengebliebenen Schulschwänzer und als disziplinierten Füllerschönschreiber. Als begeisterten Straßenbahnfahrer und als dreimal verheirateten Hans im Glück. Rihm, so scheint's, ist ein Mensch mit vielen Empfindungen, manche namenlos, andere vielfach ausgesprochen – wie die, dass er eines Tages ein weltberühmter Komponist sein würde. Da war er 13, hatte Murmeln in den Hosentaschen und offensichtlich große Worte im Mund.

Kompositionen schon während der Schulzeit

Woher der junge Wolfgang Rihm dieses unerschütterliche Selbstvertrauen nahm, lässt diese Biografie weitgehend offen. Am Support der eher musikfernen Eltern lag es jedenfalls nicht. Die waren vielmehr besorgt angesichts der schulisch durchstolperten Jugend ihres Sohnes. Rihm jedenfalls spaziert, während sich Gleichaltrige pubertätsmühend ihre Persönlichkeit zusammenschnipseln, unbekümmert durch den Wald, schreibt, schreibt, schreibt, keine guten Noten, aber Musik. So jedenfalls liest es sich in dieser Biografie.

Kurz und bündig

Dieses Buch ist wie geschaffen für alle, die …
… mehr erfahren wollen über einen der bedeutendsten lebenden Komponisten unserer Zeit.

Dieses Buch lädt ein zum …
… Eintauchen in Wolfgang Rihms bewegtes und bewegendes Leben.

Dieses Buch lohnt sich, weil …
… Autorin Eleonore Büning kurzweilige biografische Anekdoten mit fundiertem Hintergrundwissen zu den Werken des Komponisten verbindet und Rihm selber immer wieder zu Wort kommen lässt.

Frei von Systemen und Vorschriften

Zahlreiche Stücke entstehen, während er noch zur Schule geht (oder gehen sollte). Allein 32 Orgelwerke komponiert er im Alter von 14 bis 18. "Die Orgel", so erfährt man, "ist für ihn der Ursprung: das A und O." "In  […] nächtlichen Exzessen, aus der Improvisation heraus" hat Rihm sich das Komponieren erobert, "frei von Systemen und Vorschriften". Es soll, diese Erkenntnis zieht sich sirupartig durch Bünings Buch, immer so bleiben. Nie ließ der 1952 geborene Rihm sich einer Kompositionsschule zuordnen, immer hielt er sich fern von Richtungskämpfen und Lagergehabe.

Ich möchte eine Musik schreiben, die man nicht erklären kann mit herkömmlichen Begriffen.
Wolfgang Rihm

Zahlreiche Anekdoten unterfüttern die Biografie

Wolfgang Rihm © AstridAckermann | Bildquelle: BR Wolfgang Rihm | Bildquelle: BR Rihm will "bewegen und bewegt sein". Diese Biografie ist keine tiefenpsychologische Analyse. Vielmehr eine anekdotisch unterfütterte Werk- und Lebensgeschichte, die auch die Momente nicht auslässt, die Haderpotential haben. Zum Beispiel, als sein späterer Lehrer Karlheinz Stockhausen ihn als Schüler ablehnt, ihm sogar unterstellt, Zu-viel-sich-selbst zu wollen. Und immer wieder lässt Büning Rihm auch selbst zu Wort zu kommen. Wir begegnen Rihms Freunden und Lehrern, fahren zusammen mit ihm Straßenbahn, lernen seine Frauen kennen, entziffern mit ihm einen selbstverfassten Entschuldigungsbrief an die Schule ("Mein Sohn Wolfgang war das letzte Mal leider wegen Krankheit…") und sitzen mit ihm in Karlheinz Stockhausens Fluxus-Künstlerhaus, gebaut aus Beton, Glas, Holz und Stahl. Immer wieder lässt Büning Rihm selbst zu Wort zu kommen. Und so stammt der vielleicht schönste Satz in diesem Buch von ihm: "Ich habe mir da eine Liebe ermöglicht." Womit Rihm, klar, die Musik meint.

Wolfgang Rihms Leben und Werk kritisch beleuchtet

Manchmal stolpert man in dem Buch über etwas aus der Zeit gefallene Formulierungen, da liest Rihm "den Seinen daheim die Messe", ist nur kurz "unbeweibt" oder es "spazieren" Personen durch Kapitel, aber das tut der Biografie keinen Abbruch. Gekonnt verwebt Büning Details zu Rihms Werken mit biografischen Sequenzen, liefert Hintergründe, ordnet ein. "Über die Linie" trägt noch einen Untertitel: "Die Biografie". Nicht eine, sondern die. Eine eingelöste Ansage, denn wenn es ein vom Komponisten höchstpersönlich abgesegnetes Buch gibt, ein Kompendium, das sämtliche seiner Werke auflistet und kontextualisiert, dass Rihms Verhalten kritisch und auch Rückschlägiges beleuchtet, dann wohl dieses.

Infos zum Buch

Eleonore Büning
Wolfgang Rihm - Über die Linie. Die Biografie
Verlag
benevento, 2022
344 Seiten
Preis: 24,00 EUR

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