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Album der Woche – Augustin Hadelich spielt Bach Sonaten und Partiten für Violine solo

Er wuchs in Italien auf als Sohn deutscher Eltern und ging mit 20 in die USA. Der Geiger Augustin Hadelich ist in drei Sprachen zuhause. Karriere machte er zunächst in den USA, wo er mit allen großen Orchestern aufgetreten ist. Mittlerweile hat sich auch in seiner alten Heimat Europa herumgesprochen, dass er einer der besten Geiger seiner Generation ist. Gerade hat er ein Doppelalbum veröffentlicht, in dem er sich an eines der herausforderndsten Werke der Violinliteratur heranwagt: Die Solo-Sonaten und -Partiten von Johann Sebastian Bach.

CD-Cover: Augustin Hadelich spielt Bach | Bildquelle: Warner Classics

Bildquelle: Warner Classics

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Du bist allein. "Sei solo" schrieb Johann Sebastian Bach über seine Sechs Sonaten und Partiten für Violine allein. Ein Wortspiel. Sei Solo – das heißt in nicht ganz korrektem Italienisch: sechs Solo-Stücke. Oder auch: Du bist allein. Bach hatte zwar Vorbilder – es gab bereits andere Barock-Komponisten, die hochvirtuose und tiefsinnige Musik für Violine solo geschrieben hatten. Trotzdem sind seine Werke für Solo-Geige singulär. Ausgerechnet für nur ein einziges Instrument schreibt Bach ausgewachsene mehrstimmige Fugen: Was für eine verrückte Idee! Der Geiger ist zwar allein, aber in der Musik, die er macht, sprechen viele Stimmen gleichzeitig.

Zupacken und zugleich geschmeidig bleiben

Für die Interpreten bedeutet das höchste Anspannung: Schließlich ist die Violine eigentlich ein Melodieinstrument und nicht für das Spiel von Akkorden gebaut. Nur mit einer perfekten Beherrschung der Doppelgriff-Technik kann man diese vielstimmige Musik auf den vier Saiten der Geige spielen. Der Bogen muss zupacken und zugleich geschmeidig bleiben, sonst wird aus den Fugen-Sätzen keine Übung im mehrstimmigen Spiel, sondern eine im Holzhacken.

Kurz und bündig

Dieses Album lohnt sich, weil…
…Augustin Hadelich zeigt, dass mitreißende Spielfreude und der Kraft der meditativen Ruhe bei Bach zusammengehören.

Dieses Album eignet sich nicht für…
…Barockpuristen.

Dieses Album hört man am besten…
…zu zweit – denn die Gefährdungen und die Schönheit der Einsamkeit stecken ja schon in der Musik.

Atemberaubende Technik

Der deutsch-amerikanische Geiger Augustin Hadelich hat eine atemberaubende Technik. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: Den Hochleistungssport der linken Hand, die die komplexen, oft drei- und vierstimmigen Akkorde mit blitzsauberer Intonation greift. Oder die rechte, die Bogenhand, die zupackende Energie und geschmeidige Sensibilität perfekt ausbalanciert.

Hier geht es nicht um Originalklang

Augustin Hadelich spielt zwar mit einem Barockbogen, wie er in der Zeit Johann Sebastian Bachs verwendet wurde. Doch seine Einspielung der sechs Solo-Sonaten und -Partiten ist nichts für Barock-Puristen. Und natürlich ist seine wunderschöne Guarneri-Geige ein modernisiertes Instrument – hier geht’s nicht um Originalklang. Hadelich kommt unverkennbar aus der Tradition der großen romantischen Virtuosen, nicht aus der Alte-Musik-Bewegung. Sein Bach klingt mehr nach Heifetz und Milstein als nach Harnoncourt. Hadelich spielt ungemein kraftvoll, stellenweise auch mit viel Vibrato. Und er liebt es, sich auf den Schlusston mit aller Energie draufzusetzen – für Leute, die sich mit Barock-Musik auskennen, eigentlich ein absolutes No-Go.

Rausch der Geschwindigkeit

Aber daran muss sich niemand stören: Bachs Musik bietet unendlich viele Zugänge. Erst recht bei Werken, die so subjektiv sind wie diese: Hier ist jeder allein, auf sich gestellt, aber gerade deshalb auch frei. Entscheidend ist, dass jede Interpretation in sich stimmig ist. Für Hadelich ist seine stupende Technik nie Selbstzweck, er verwandelt die Virtuosität in Ausdruck, Exzentrik, Rausch der Geschwindigkeit. Und in den langsamen, meditativen Sätzen taucht er ab: Hier geht es um den ruhigen Puls, darum, der Stille nachzulauschen und die Klänge atmen zu lassen.

Eine Form der spirituellen Selbsterfahrung

Sei solo, schrieb Bach über seine Sonaten und Partiten – Du bist allein. Kurz bevor er sie komponierte, war seine erste Frau verstorben. Plausibel ist die Theorie, dass Bach mit diesem außergewöhnlichen Werk für Violine solo ein klingendes Denkmal für seine Frau geschrieben hat: Du bist allein. Sicher ist, dass diese Musik zwar enorme technische Herausforderungen bereithält. Dass es aber eigentlich um etwas ganz Anderes geht: um eine Form der spirituellen Selbsterfahrung. Und die gelingt in der Einsamkeit am besten. Augustin Hadelich transzendiert die Virtuosität: Sein überragendes geigerisches Können ebnet ihm dabei nur den Weg.

Infos zur CD

Johann Sebastian Bach:
Sonaten und Partiten für Violine solo


Augustin Hadelich (Violine)
Label: Warner Classics

Sendung: "Piazza" am 8. Mai 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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