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Album der Woche - Béla Bartók Die Streichquartette mit dem Quatuor Diotima

Sie haben sich auf die Musik des 20. Jahrhunderts und der Moderne spezialisiert, sind aber auch im klassisch-romantischen Repertoire zu Hause: Die vier Musiker des Quatuor Diotima gehören zu zahlreichen erstklassigen Streichquartetten aus Frankreich, die in den letzten Jahren die Kammermusik-Szene nachhaltig bereichert haben. Nun haben sie die sämtliche Quartette von Béla Bartók eingespielt – Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts. Eine beeindruckende Gesamteinspielung.

CD-Cover: Quatuor Diotima mit den Bartók-Streichquartetten | Bildquelle: Naïve Records

Bildquelle: Naïve Records

Das Album der Woche zum Anhören

Es ist ein ziemlich verlassenes Nest, in dem einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts geboren wird. Damals gehört es zu Ungarn, heute liegt es in Rumänien. Der Vater leitet eine Landwirtschaftsschule, die Mutter spielt Klavier. Der kleine Bela ist fast immer krank. In den ersten fünf Lebensjahren entstellt ihn ein Haut-Ausschlag. Wenn Besuch kommt, wird Bela in sein Zimmer eingeschlossen. Auch später bleibt er ein Einzelgänger. Als streng und unnahbar wird Bartok geschildert, ein kleiner, schmächtiger Mann, höflich und leise, stets pünktlich und von unerbittlicher Präzision. In seinen Augen aber, das schreiben auffällig viele Menschen, die ihm begegnet sind, habe ein Feuer gebrannt.

Kurz und bündig

Dieses Album lohnt sich, weil…
… Bartóks Musik immer tiefer reingeht, je mehr man sie hört

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil…
… das Quatuor Diotima zugleich sensibel und geradlinig spielt.

Dieses Album führt bei Überdosis zu…
… einer Verschiebung der Wahrnehmung: Dissonanzen können so schön sein!

Gegenseitige Einflüsse über alle Grenzen hinweg

Der junge Bartok ist glühender Patriot und tritt als Pianist in ungarischer Nationaltracht auf. Vom Nationalismus heilt ihn der Wahnsinn des ersten Weltkriegs – und, überraschenderweise, seine Beschäftigung mit der Volksmusik. Seit 1908 war er mit Bleistift, später mit einem großen Trichtergrammophon über die Dörfer gezogen, um die archaischen Lieder und Tänze der Bauern zu sammeln. Immer ausgedehnter werden Bartoks Reisen durch den Balkan. Dabei entdeckt er so viele gegenseitige Einflüsse über alle Grenzen hinweg, dass er Nationalismus als Irrtum durchschaut. Deshalb findet man in Bartoks Musik nicht nur die Rhythmen der ungarischen Bauern, sondern auch rumänische und slowakische Volksmusik, ja sogar aus Einflüsse der arabischen Musik Nordafrikas. Als in Ungarn ein nationalistisches Regime an die Macht kommt, emigriert Bartok in die USA, wo er 1945 stirbt.

Ein intimes Tagebuch

Wer Bartok verstehen will, kommt an seinen sechs Streichquartetten nicht vorbei. Sie sind wie ein intimes Tagebuch. In jeder Lebensphase hat er Quartette geschrieben. Meisterwerke sind sie alle. Die Reise beginnt mit der spätromantischen Klangwelt des Ersten Quartetts und führt in den Expressionismus des Zweiten. Elementare Energie und kraftvolle Rhythmen prägen das Dritte. Aber auch magische Naturbilder zeichnet Bartok, etwa im langsamen Satz des Vierten Quartetts. Im Fünften verbindet er raffinierte rumänische Rhythmen mit einer Hommage an Beethoven. Und im Sechsten, entstanden kurz vor seiner Emigration nach Amerika, nimmt Bartok Abschied vom alten Europa.

Ruhiger Atem und meditative Kraft

Das Quatuor Diotima fasziniert vor allem in den langsamen Sätzen mit langem Atem, meditativer Ruhe und dramaturgischem Spürsinn für formale Verläufe. Lustvoll kosten die vier Dissonanzen aus, schönem nichts, spielen mit Verve und mitreißender Energie. Man kann das süffiger und sinnlicher spielen, aber damit würde man dieser Musik auch einen Teil ihrer Kraft rauben. Eine in ihrer schnörkellosen Konsequenz beeindruckende Gesamteinspielung.

Quatuor Diotima spielt Bartók

Béla Bartók:
Streichquartette Nr. 1 bis 6

Quatuor Diotima

Label: Naïve Records

Sendung: "Piazza" am 30. März 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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