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Album der Woche – René Jacobs dirigiert Beethovens "Leonore"

Das Beethoven-Jubiläums-Jahr 2020 wirft erste Schatten voraus. Pianisten, Geiger, Symphonieorchester – alle rüsten sich, IHREN Beethoven-Beitrag vorzulegen. Bei der Oper ist man da schnell am Ende. Ludwig van Beethoven hat ja nur eine einzige komponiert, den "Fidelio", und selbst das lief alles andere als glatt. Beim Label harmonia mundi ist jetzt eine neue Gesamtaufnahme erschienen, die einen aufhorchen lässt – aus verschiedenen Gründen.

CD-Cover – Ludwig van Beethoven: "Leonore" | Bildquelle: Harmonia Mundi

Bildquelle: Harmonia Mundi

Das Album der Woche zum Anhören

Beethovens "Fidelio". Es geht auf das Finale zu. Leonore konnte in den Kerker vordringen und ist dort auf ihren Florestan getroffen. "O namenlose Freude!" Aber irgendwas ist in dieser Einspielung anders, oder? Stimmt. Auf den ersten Blick sind es Kleinigkeiten, aber so kennt man den "Fidelio" eben nicht. Zumindest nicht den von 1814, den Beethoven jahrelang überarbeitet, revidiert und immer wieder zu verbessern versucht hat. Mit mittlerem Erfolg. Schließlich ist heute noch das Problem, dass dieser "Fidelio" nicht genau weiß, was er eigentlich sein will: Singspiel, lockeres Miteinander, oder Heldinnen- und Befreiungsstück, Revolutionsoper. Jede Neuinszenierung kämpft mit dieser Disparatheit.

Fantastische Extra-Musik

Der Originalklangmeister und Quellenstudierer René Jacobs hat zum "Fidelio"-Dilemma eine ganz eigene, etwas unkonventionelle Meinung. Er favorisiert die erste Fassung der Oper mit dem Titel "Leonore". Von Beethoven voller Tatendrang in nur zwei Jahren komponiert, 1805 am Theater an der Wien allerdings durchgefallen. Viel zu schwer für die Sänger und das Orchester, auch mit den Tempi hat es überhaupt nicht hingehauen. Was für René Jacobs aber nicht gegen das Stück spricht: Die dreiaktige "Leonore" findet er viel schlüssiger, außerdem enthält sie fantastische Extra-Musik wie ein Concertato in Leonores großer Arie und das Duett "Um in der Ehe froh zu leben", in dem Marzelline Leonore ziemlich unmissverständlich auf die Pelle rückt.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer ...
... Beethovens einzige Oper liebt und noch genauer kennen lernen will.

Dieses Album hat gefehlt, weil ...

... die Erstfassung von Beethovens einziger Oper absolut spannend ist, vor allem, wenn sie so toll musiziert wird.

Dieses Album führt bei Überdosis zu ...

... spontaner Lust auf den nächsten Opernbesuch.

Tief empfundene Dankbarkeit

Besonders schlüssig allerdings ist für Jacobs das Finale der Oper. Leonore und Florestan wissen sich keineswegs gerettet, der "Rache-Chor" scheint es auf sie im dunklen Kerker abgesehen zu haben. Die "namenlose Freude" ist kein Befreiungsschrei, sondern tief empfundene Dankbarkeit, sich vor dem sicheren Tod wieder vereint zu wissen. So intim und nah war man dem Liebespaar selten…

Bestechendes Solisten-Ensemble

Wenn Dirigent René Jacobs von etwas überzeugt ist, dann setzt er es nicht mit halber Kraft um. Folglich hat er für die Gesamtaufnahme dieser "Leonore" neben seinem fulminanten Freiburger Barockorchester und der Zürcher Sing-Akademie ein bestechendes Solisten-Ensemble gewinnen können. Marlis Petersen, im Moment vielleicht am Höhepunkt ihrer Bühnenkarriere, singt die Leonore stimmlich grandios, man glaubt ihr jedes Wort und spürt ihre emotionale Verstricktheit. Auch Maximilian Schmitt überzeugt als Florestan sowohl hadernd als auch kämpferisch.

Eine spannende und reizvolle Alternative

Robin Johannsen als wunderbar naiv-aufdringliche Marzelline und Dimitry Ivashchenko als opportunistischer Rocco ergänzen das Klangbild bestens. Wer Beethovens "Fidelio" liebt und trotzdem immer wieder mit ihm hadert, der findet in dieser interpretatorisch überragenden "Leonoren"-Einspielung eine spannende und musikgeschichtlich reizvolle Alternative. Wer einfach mitgerissen werden will, von der leidvollen Liebesgeschichte von Leonore und Florestan, der kann sämtliche Partitur-Vergleiche getrost beiseiteschieben und sich von dieser Aufnahme gefangen nehmen lassen.

René Jacobs dirigiert die "Leonore"

Ludwig van Beethoven:
"Leonore" (1805)

Marlis Petersen (Leonore)
Maximilian Schmitt (Florestan)
Freiburger Barockorchester
Zürcher Sing-Akademie
Leitung: René Jacobs

Label: Harmonia Mundi

Sendung: "Piazza" am 4. Januar 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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