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Album der Woche – Teodor Currentzis dirigiert Beethoven Symphonie Nr. 7

Er ist ein Feuerkopf und er polarisiert die Klassikwelt derzeit wie kein Zweiter: der Dirigent Teodor Currentzis. Die einen halten ihn für einen effekthascherischen Scharlatan – nicht nur wegen der roten Schnürsenkel seiner Springerstiefel und der Mönchskutten, in denen er seine Musiker auftreten lässt. Die andern sind begeistert von seinen ungewöhnlich drastischen Interpretationen. In der russischen Stadt Perm im Ural hat Currentzis sein Orchester MusicAeterna in langen Proben hundertprozentig auf sich eingeschworen. Gerade ist seine Einspielung von Beethovens Siebter Symphonie erschienen.

CD-Cover: Teodor Currentzis dirigiert Beethovens Siebte | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

Der CD-Tipp zum Anhören

Von Thomas Bernhard stammt das schöne Wort Übertreibungskünstler. Der Dirigent Teodor Currentzis ist ein Übertreibungskünstler in Reinform. Wo andere laut und leise spielen, gibt es bei ihm Lautstärke-Detonationen, die unvermittelt auf pianissimo-Zirpen an der Grenze zum Schweigen stoßen. Deshalb die erste Warnung: Diese CD eignet sich keinesfalls zum Hören im Auto. Sie benötigen dafür eine gute Stereoanlage und absolute Ruhe. Am besten schließen Sie das Fenster und schalten, falls vorhanden, die Klimaanlange oder den Raumbefeuchter aus – sonst haben Sie keine Chance, das Pianissimo der Celli und Kontrabässe im zweiten Satz von Beethovens Siebter von den Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden. Es sei denn, Sie drehen ständig am Laustärke-Regler.

Übertreibung als Kunstform

Ist das Effekthascherei? Nein, aber ganz sicher etwas übertrieben. Doch Currentzis gelingt es, die Übertreibung zur Kunstform zu machen. Denn er überzieht immer an den richtigen Stellen und bei den richtigen Dingen. Wo er in seiner Interpretation übertreibt, da übertreibt es auch Ludwig van Beethoven. Der war überhaupt der erste Komponist, der minutiöse Lautstärkebezeichnungen in seine Partituren schrieb. Und zwar verwendete Beethoven auffällig selten das mezzoforte, dafür ständig die Extremwerte pianissimo und fortissimo.

Keine bloße Effekthascherei

Ja, Beethoven machte aus dem Spiel mit den Lautstärken eine ganz eigene Dimension des Komponierens. Mit Steigerungen, die ins Nichts führen, mit Akzenten auf dem unbetonten Taktteil, mit wilden Ausbrüchen und geflüsterten Bekenntnissen bringt er die geordnete Welt der klassischen Harmonie ins Wanken. Beethoven war eben Dynamiker in jeder Hinsicht. Und das war absolut neu in der Musik. Und darum ist es eben keine bloße Effekthascherei, wenn Currentzis die Lautstärke-Kontraste so extrem zelebriert.

Kurz und bündig

Dieses Album hört man besten…
… bei absoluter Ruhe, sonst ist das kaum hörbare pianissimo nicht von den Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden.

Dieses Album hat gefehlt!
Und wenn man das einem so häufig aufgenommenen Werk wie Beethovens Siebter sagt, dann ist das ein sehr großes Lob.

Dieses Album überzeugt, weil
… nicht nur Teodor Currentzis ein Übertreibungskünstler ist, sondern auch Ludwig van Beethoven.

Herr und Meister und Guru

Mit seinem unglaublich fitten, auf Originalinstrumenten spielenden Orchester MusicAeterna, das total auf ihn als Herrn und Meister und Guru eingeschworen ist, gelingt Currentzis etwas wirklich Unwahrscheinliches: Er gewinnt einem der am häufigsten aufgenommenen Werke der klassischen Musik neue, selten in dieser Form gehörte Aspekte ab. Das liegt vor allem an seiner Aufmerksamkeit für die Begleit- und Gegenstimmen. Bei Beethoven gibt es nämlich nichts Unwesentliches. Nicht die Melodien machen die Musik, sondern die Reibungen zwischen Melodielinie und gegenläufigen Stimmen. Und so ist diese Aufnahme nicht nur rasant, scharf, zugespitzt, manchmal frenetisch vorwärtsstürmend und manchmal mystisch zurückgenommen. Das kennt man von vielen Alte-Musik-Ensembles. Sie ist vor allem ohrenöffnend für den Reichtum der Mittel- und Gegenstimmen.

Der Maschinenraum der Musik

Currentzis versetzt uns gewissermaßen ins Innere der Partitur, man schaut in den Maschinenraum der Musik, erlebt, wie Motive und Begleitung ineinandergreifen, wie die Instrumente sich reiben. Das ist aufregend – und macht, zweite Warnung, ein Ärgernis wett: Auf diesem Album sind nur rund 40 Minuten Musik, obwohl 80 Minuten drauf passen. Weniger Musik zum gleichen Preis, das ist dreist, und eigentlich widerstrebt es einem, sowas zu loben. Aber was hilft's: Diese Interpretation ist leider sehr, sehr gut.

Infos zur CD

Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 7

MusicAeterna
Leitung: Teodor Currentzis

Label: Sony Classical

Sendung: "Piazza" am 17. April 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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