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Album der Woche – András Schiff spielt Brahms Klavierkonzerte mit historischem Sound

Der ungarisch-britische Pianist András Schiff ist nicht nur berühmt für seine ausgefeilten Interpretationen, sondern auch für seine Sturheit. Schiff, im Auftreten ein absoluter Gentleman, hat einen ausgeprägten Widerspruchsgeist. Nicht nur gegen die nationalistische Regierung in Ungarn nimmt er Stellung. Auch beim Musizieren sucht er immer wieder nach neuen Wegen, mit denen er gelegentlich auch aneckt. Etwa mit seiner Polemik gegen den populärsten Flügel der Gegenwart, den Steinway. Nun hat er zum zweiten Mal die Klavierkonzerte von Johannes Brahms eingespielt – auf historischen Instrumenten.

CD-Cover: András Schiff spielt die beiden Brahms-Klavierkonzerte | Bildquelle: ECM

Bildquelle: ECM

Der Beitrag zum Anhören

Dieses Doppelalbum ist eine echte Überraschung. Zwei große Künstler, die in der Klassikszene alles andere als Unbekannte sind, lernt man darin neu kennen: Johannes Brahms, den Komponisten, und András Schiff, seinen Interpreten. Und das macht große, sehr große Freude. Zum einen, weil es sich um fantastische Aufnahmen von zwei der schönsten Klavierkonzerte des Repertoires handelt. Und zum andern, weil man András Schiff nicht nur für sein souveränes Können bewundern muss, sondern auch für seinen Mut.

András Schiff erfindet sich neu

Schließlich ist der ungarisch-österreichisch-britische Pianist bereits Ende 60, er ist von der Queen zum Sir geadelt, und er gilt beim deutsch-österreichischen Repertoire als absolute Autorität. Eigentlich wäre er der ideale Kandidat für die Rolle des Lordsiegelbewahrers unter den Pianisten, die ja unbesetzt ist, seit Alfred Brendel nicht mehr auftritt. Bekannte Interpreten in Schiffs Alters erfreuen sich normalerweise an ihrem verdienten Ruhm und machen genau das weiter, was sich bis dahin ja ganz offenbar bewährt hat. András Schiff ist anders. Er macht genau das nicht. Er erfindet sich neu.

Ein Blüthner-Flügel von 1859

Angebahnt hat sich das schon länger. Schiff ist unzufrieden mit dem Einheitsklang des modernen Steinways. Steinways klingen satt, rund und voll, aber oft auch etwas eigenschaftslos. Schiff ist ein Künstler mit Eigenschaften. Auch deshalb spielt er so gern auf den weniger populären Bösendorfer-Flügeln. Aber auch die befriedigen seine Neugier nicht mehr. Inspiriert von der historischen Aufführungspraxis, die klassische Werke auf den Instrumenten der Entstehungszeit spielt, hat sich Schiff in den letzten Jahren immer intensiver mit originalen Klavieren des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Die Brahms-Konzerte spielt er nun auf einem Blüthner-Flügel von 1859.

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt,…
… weil man die Klavierkonzerte von Brahms so transparent und leidenschaftlich zugleich noch nicht gehört hat – außer vielleicht zur Entstehungszeit.

Dieses Album hört man am besten...
… ohne vorgefasste Meinung, wie Brahms zu klingen hat.

Dieses Album wird lieben,
… wer Brahms liebt.

Töne mit Biss

Zwischen den alten Klavieren mit ihrem nasalen Klang, die man heute meist Hammerklavier nennt, und den modernen Steinways gibt es fließende Übergänge. Der Blüthner, den sich Schiff ausgesucht hat, entspricht in vielem bereits den modernen Flügeln. Er hat mit Filz bespannte Hämmer und einen Rahmen aus Gusseisen – aber der Klang ist zarter, die Saiten im Baß sind kürzer, der Klavierton klingt heller, etwas silbrig, und hat einen ganz leichten Geräuschanteil. Die Töne haben sozusagen Biss. Der Klang ist schlanker, durchsichtiger, leichter. So wird jeder Ton, auch bei schnellen Passagen, ganz distinkt hörbar. Und das Klavier hebt sich stärker vom Orchester ab.

Historische Instrumente auch im Orchester

Auch die Musiker des großartigen Orchestra of the Age of Enlightenment spielen auf historischen Instrumenten. Für Brahms heißt das: Darmsaiten bei den Streichern, Hörner ohne Ventile, kleiner gebaute Blechbläser, die leiser klingen als heute. Was den Streichern ein Spiel mit weniger Druck ermöglicht. Und obwohl sie nur sparsam vibrieren, klingen sie wunderbar schwelgerisch, weil sie – wie damals üblich, aber heute meist verpönt – beim Lagenwechsel hörbar rutschen. Daraus ergibt sich ein schlanker, aber sehr gesanglicher und hochemotionaler Sound.

Und das ist das Schönste und Wichtigste an dieser außergewöhnlich starken Interpretation: Hier wird mit größter Leidenschaft gespielt, wach, engagiert, auf der Stuhlkante, von jeder Musikerin, jedem Musiker, bis ans letzte Pult. Alle interagieren, reden mit und hören zu. Und das ganz ohne Dirigent – soweit nicht András Schiff, wenn er gerade nicht selbst zu spielen hat, die Einsätze gibt. Es gibt andere Aufnahmen, die ebenso großartig sind wie diese. Schönere aber gibt es, für mich jedenfalls, nicht.

Infos zur CD

Johannes Brahms:
Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll, op. 15
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur, op. 83

Orchestra of the Age Of Enlightement
Klavier und Leitung: András Schiff

Label: ECM

Sendung: "Piazza" am 12. Juni 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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