Was für ein Kraftakt: Die Stiftung Palazzetto Bru Zane hat keinen Aufwand gescheut, um endlich auch französische Komponistinnen der Romantik ins Rampenlicht zu rücken. Etliche Ersteinspielungen, die sich hören lassen können.
Bildquelle: Bru Zane
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Schon mal was von Hedwige Chrétien gehört? Mit ihren charmanten Liedern macht uns der silberhelle Tenor Cyrille Dubois bekannt – in der Edition "Compositrices" stemmt er den Großteil der weiblichen Liedproduktion. Denn klar, in der Romantik konnten sich Komponistinnen am ehesten im intimen Salon mit Klavier- und Kammermusik Gehör verschaffen – das war nicht nur in Frankreich so. Charlotte Sohy zum Beispiel hat eine Aufführung ihrer kühnen Symphonie nie erlebt. Die Ersteinspielung hat das Orchestre National de France unter Débora Waldman jetzt endlich nachgeholt.
Manchmal erlaubt die Edition einen spannenden Blick in die kompositorische Werkstatt der französischen Romantikerinnen. So hat die enorm produktive Mélanie Bonis, die ihre Partituren wie viele ihrer Kolleginnen nur unter männlichem Pseudonym "Mel Bonis" veröffentlichen konnte, in erster Linie für Klavier komponiert – etwa ihren Zyklus über legendäre Frauenfiguren. Aber um wieviel ekstatischer klingt der Tanz der Salome im orientalischen Flair der Orchesterfassung von Mélanie Bonis! In der Farbenpracht des Orchestre National du Capitole de Toulouse schillert der erotische Reiz des Lockvogels viel gefährlicher als in der Klavierversion.
Diese Edition wird lieben, wer …
… Lust hat, seinen Horizont zu erweitern und sich auf unbekannte Orchester- und Kammermusik französischer Romantikerinnen einzulassen.
Diese Edition lohnt sich, weil …
… sie etliche Ersteinspielungen, auch von großformatigen Orchesterwerken bietet.
Diese Edition hat gefehlt, weil …
… sie vergessenen Komponistinnen der französischen Romantik ein Forum gibt und deren imponierende Werke ins Rampenlicht rückt.
Diese Edition ist ein Hörgenuss, weil …
… die Stiftung Palazzetto Bru Zane namhafte Pianisten, engagierte Instrumentalistinnen und renommierte französische Orchester für die Einspielungen gewinnen konnte.
Diese Edition lädt dazu ein …
… mehr Musik von Komponistinnen aufzuführen, die man hier in beachtlichen Interpretationen kennenlernen kann.
Die Edition zeigt auch, dass die präsentierten Komponistinnen voll auf der Höhe des Zeitgeists waren. So verfiel die irischstämmige Französin Augusta Holmès hörbar dem grassierenden Wagner-Fieber. In ihrer schwerblütigen Tondichtung über die mythologische Königstochter Andromeda feiert der Feuerzauber aus der "Walküre" fröhliche Wiederkehr.
Gerade im spätromantischen Überschwang wie in der Tondichtung "Ossiane" der Liszt-Schülerin Marie Jaëll bricht sich der Ausdruckswille der französischen Komponistinnen überwältigend Bahn. Lange unterdrückt, kommt er in der Anthologie "Compositrices" selbstbewusst zur Geltung. Auch das instrumentale Niveau ist durchwegs beachtlich, nur bei den Sängerinnen und Sängern ist die Qualität recht unterschiedlich – schade um den reichhaltigen Liederfundus der Box. Aber ab sofort gelten keine Ausreden mehr, es gäbe kein brauchbares Repertoire von Komponistinnen – hier ist es!
"Compositrices – New Light on French Romantic Women Composers"
Lieder, Klavier- und Kammermusik, Tondichtungen und Symphonien französischer Komponistinnen der Romantik
Werke von Mélanie Bonis / Lili Boulanger / Nadia Boulanger / Marthe Bracquemond / Cécile Chaminade / Hedwige Chrétien / Marie-Foscarine Damaschino / Jeanne Danglas / Louise Farrenc / Clémence de Grandval / Marthe Grumbach / Augusta Holmès / Madeleine Jaeger / Marie Jaëll / Madeleine Lemariey / Hélène de Montgeroult / Virginie Morel / Henriette Renié / Charlotte Sohy / Rita Strohl / Pauline Viardot-Garcia
Anaïs Constans (Sopran)
Aude Extrémo (Mezzosopran)
Cyril Dubois, Yann Beuron, François Rougier (Tenor)
Claire Le Boulanger (Flöte)
Anna Agafia, Alexandre Pascal (Violine)
Héloïse Luzzati, Victor Julien-Laferrière (Violoncello)
Quatuor Hanson
Nathalia Milstein, Marie Vermeulin, Alessandra Ammara, Étienne Manchon, Théo Fouchenneret, Tristan Raës, Roberto Prosseda, Ismaël Margain, François Dumont, Frank Braley, David Zobel, Célia Oneto Bensaid, Mihály Berecz (Klavier)
Orchestre National du Capitole de Toulouse, Leitung: Leo Hussain
Orchestre National de France, Leitung: Débora Waldman
Orchestre National de Metz Grand Est, Leitung: David Reiland
Les Siècles, Leitung: François-Xavier Roth
Label: Palazzetto Bru Zane
Sendung: "Piazza" am 01. April 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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