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Album der Woche – Ethel Smyth: "The Prison" Am Ende steht der Seelenfrieden

Was für eine Frau! 1858 in London geboren, trat Ethel Smyth in Hungerstreik, um ihr Musikstudium in Leipzig durchzusetzen. Zurück in England, begann sie ihre Karriere als Komponistin. Später nahm sie als Frauenrechtlerin an militanten Aktionen der Suffragetten-Bewegung teil und landete im Gefängnis, wo sie ihre Hymne "The March of the Women" für ihre Mitinsassinnen dirigierte – mit einer Zahnbürste. Mit zunehmender Ertaubung wandte sich Ethel Smyth vom Komponieren ab und der Schriftstellerei zu. Um 1930 doch noch mal ein großes vokalsymphonisches Werk vorzulegen: "The Prison".

CD-Cover – Ethel Smyth: "The Prison" | Bildquelle: Chandos

Bildquelle: Chandos

In seiner Zelle sitzt ein namenloser Gefangener und wartet auf den nahenden Tod. Seine ausweglose Situation reflektiert er im Dialog mit seiner Seele, die Ethel Smyth in "The Prison" mit einem Sopran besetzt hat. Wie in der antiken Tragödie kommentiert der Chor das metaphysische Geschehen – hier sind es Echostimmen aus dem Jenseits.

Todeskampf und Loslassen

"The Prison", halb Vokalsymphonie, halb Oratorium, handelt von den letzten Dingen: von der Überwindung der irdischen Existenz, vom Todeskampf und vom Loslassen. Wenn der Gefangene von der Schönheit der Natur träumt, imitiert Smyth Vogelstimmen – lange vor Olivier Messiaen.

Innigkeit, die zu Herzen geht

Ein "Choralvorspiel in der Gefängnis-Kapelle" ist das Zentrum von "The Prison". Den deutschen Choral, der an Bachs Passionen erinnert, hat Smyth ungemein farbig instrumentiert. James Blachly und sein Experiential Orchestra musizieren diesen Moment des Innehaltens mit einer Innigkeit, die zu Herzen geht.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
… sich für spirituelle Themen und kontemplative Klänge interessiert.

Dieses Album lohnt sich, weil …
… man hier endlich das kompositorische Vermächtnis der britischen Spätromantikerin Ethel Smyth kennenlernen kann.

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… es bislang keine Einspielung dieses aufwändig zu realisierenden Werkes gab.

Dieses Album lädt ein zu …
… einer Entdeckungsreise in die Welt einer Komponistin, die ihrer Zeit weit voraus war.

Großartiger Bariton-Solist

Auf einer großen Griechenland-Reise lernte Ethel Smyth antike Skalen kennen, die sie gleichfalls in "The Prison" verwendet. Wenn der Experiential Chorus die Unsterblichkeit der menschlichen Leidenschaften beschwört, klingt das archaisch wie griechisch-orthodoxe Kirchenmusik. Schließlich schafft es der Gefangene, sein wahres Selbst von seinem Ich, seinem Ego zu lösen. Die packende Ersteinspielung von "The Prison" lebt auch von der Gestaltungskraft des großartigen Bassbaritons Dashon Burton.

Tönende Philosophie

Da kann Sarah Brailey als Seele des Gefangenen mit ihrem flackernden Sopran leider nicht mithalten. Aber Dirigent James Blachly leistet mit den von ihm gegründeten Experiential Chorus and Orchestra Erstaunliches. Und bringt die spätromantische Ausdruckskraft von Smyth eindrucksvoll zur Geltung. Der am Ende erreichte Seelenfrieden des Gefangenen wird von Trompetensignalen begleitet – wie in Beethovens Oper "Fidelio", die Ethel Smyth sehr geschätzt hat. "The Prison" – das ist wahrhaft tönende Philosophie.

Infos zur CD

Ethel Smyth:
"The Prison"
Symphonie für Sopran, Bassbariton, Chor und Orchester nach Worten von Henry Bennet Brewster (Ersteinspielung)

Sarah Brailey (Sopran) – His Soul
Dashon Burton (Bassbariton) – The Prisoner
Experiential Chorus
Experiential Orchestra
Leitung: James Blachly

Label: Chandos

Sendung: "Piazza" am 09. Januar 2021, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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