BR-KLASSIK

Inhalt

Album der Woche – David Nebel spielt Violinkonzerte von Glass und Strawinsky

Philip Glass und Igor Strawinsky, das bedeutet Minimal Music und Neoklassik, Rausch und Sarkasmus. Also scheinbar unvereinbare Gegensätze. Aber nicht für David Nebel, der den Violinkonzerten der beiden Komponisten in jeder Note gerecht wird. Kongenial unterstützt wird er dabei vom Dirigenten Kristjan Järvi.

CD-Cover: Violinkonzerte von Glass und Strawinsky | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

Der CD-Tipp zum Anhören

Hat man erst mal angefangen, zuzuhören, kommt man nicht mehr los davon. Die Musik des amerikanischen Minimal-Komponisten Phil Glass ist immer wie eine Meditation. Diese schier endlosen Ton-Wiederholungen in gebrochenen Akkorden, diese wie Blöcke angeordneten Harmonien, die Glass, zum Beispiel in seinen Opern, zu stundenlangen Musikabläufen fügte. Das Violinkonzert macht keine Ausnahme. Aber hier gibt es nun immer wieder Punkte, an denen die Musik Funken schlagen und sich entzünden kann. Zum Beispiel die instrumentalen Riffs im Orchester.

Ein wirklich neues Glass-Erlebnis

In dieser Aufnahme mit dem jungen Schweizer Geiger David Nebel und dem Dirigenten Kirstjan Järvi bleibt es nicht bei der Meditation. Beide, Solist und Dirigent, arbeiten die Qualitäten der Komposition punktgenau heraus. Das Violinkonzert war Glass‘ erste Komposition für großes Orchester. Sehr geschickt machte er sich die Möglichkeiten, die Klänge, die Farben des Orchesters zu Nutze, ohne seinen Stil preiszugeben. Die klare repetitive Struktur eines Glass-Satzes bleibt gewahrt. Mit figurativen Elementen, Akkordfolgen in den Bläsern und der Zuordnung von Motiven zu Klangfarben brach Glass zu neuen Formen seines Komponierens auf. Der Violine dachte er einen ausdrücklich auch virtuos auftretenden Part zu. Nebel und Järvi nützen diese Gelegenheiten dankbar zur Brandstiftung und schaffen ein wirklich neues Glass-Erlebnis. Das Hören wird zum Rausch, zu einem Musik-Trip mit farbigen Explosionen und buntem Funkenflug.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
… wieder einmal erleben will, was für ein Rausch- und Suchtmittel Musik sein kann.

Dieses Album muss man haben, weil …
… es die meiner Meinung nach aufregendste Interpretation des Strawinsky-Konzertes enthält.

Dieses Album hört man am besten …
… in völlig entspanntem Zustand, in dem man nichts anderes will als Musik, Musik und nochmal Musik.

Es sprühen die Funken

Nicht ganz eine halbe Stunde dauert der Glass-Rausch, viel zu kurz. Da kommt es gerade recht, dass Nebel und Järvi mit Strawinskys Violinkonzert weitermachen. Man meint, nun auf bekannteres Gebiet zu treten. Aber Nebel und Järvi haben Überraschungen bereit. Sie tauchen tief ein in die Partitur und nehmen sich jedes Detail genau vor. In der hier präsentierten kammermusikalischen Klarheit wird das 1931 entstandene Violinkonzert eindeutig als typisches Werk des von Klassik und Barock faszinierten Strawinsky positioniert. Aber das Schroffe, dabei verspielt Launische, das Nebel und Järvi der Musik mitgeben, enthält genauso den frühen, experimentellen Strawinsky, wie er etwa in der "Histoire du Soldat" von 1917 zu hören ist. So bleibt die Faszination beim Hören wach. Denn wieder sprühen die Funken, wenn Nebel seine Stradivari spielt als stünde sie unter Hochspannung.

Feuerwerk der Klänge und Farben

Bei Strawinsky wie bei Glass: David Nebel und Kristjan Järvi sind ein kongeniales Team. Der Solist weiß, wie er sein kostbares Instrument auszureizen kann, was es an den Grenzen seiner Belastbarkeit an zusätzlichem Ausdruck zu bieten hat und dabei die erlesene Schönheit – Strahlkraft mit Wärme – des Tons behält. Kristjan Järvi ist im Dirigenten-Gespann der Järvis (Vater Neeme und Bruder Paavo) ohnehin der abenteuerlustigste. Mit seinem New Yorker Absolute Ensemble machte er Musik jenseits aller Stilgrenzen, zusammen mit Jazz und interdisziplinären Musikern wie Joe Zawinul oder Gabriela Montero. Die Werke auf dieser CD nehmen Nebel und Järvi wie ganz neue Herausforderungen an. Sie gehen voll ins Risiko. Strawinskys Partitur wird ein unablässiges Feuerwerk der Klänge und Farben. Schon wieder kommt man von der Musik nicht los. Vorsicht, das ist eine CD wie ein Suchtmittel. Und das ganz ohne Rezept!

David Nebel spielt Violinkonzerte

Philip Glass:
Concerto for Violin and Orchestra
Igor Strawinsky:
Violinkonzert D-Dur

David Nebel (Violine)
London Symphony Orchestra, Baltic Sea Orchestra
Leitung: Kristjan Järvi

Label: Sony Classical

Sendung: "Piazza" am 25. April 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK empfiehlt

    AV-Player