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Album der Woche – Patricia Kopatchinskaja: "Time and Eternity" Von Machaut bis Hartmann

Der Klassische Konzertbetrieb langweilt die Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Zu starr, zu festgefahren sind ihr die Mechanismen. Seit einigen Jahren inszeniert sie ihre Konzerte daher unter programmatischen Titel wie "Bye-Bye Beethoven" oder "Krieg und Chips" und schlägt sich eine Schneise quer durch die Epochen. Nachdem die Muskerin im Herbst 2018 die Leitung der Camerata Bern übernahm, veröffentlichte sie nun die erste gemeinsame CD unter dem Titel "Time and Eternity" – "Zeit und Ewigkeit". Hierauf überträgt sie die Idee ihrer Konzeptkonzerte auf ein thematisches Konzeptalbum.

CD-Cover: Patricia Kopatchinkaja – "Time and Eternity" | Bildquelle: Alpha Classics

Bildquelle: Alpha Classics

Album der Woche – 28. September 2019

Patricia Kopatchinskaja – "Time and Eternity"

Wie aus einer tiefen Meditation erheben sich Patricia Kopatchinskaja und ihre Camerata Bern: Mit John Zorns fast schwebendem "Kol Nidre" eröffnen sie ihr Konzeptalbum "Time and Eternity". Und der Titel deutet schon vage an: Hier geht es um große Themen, um Sinnsuche, Glaube, die ewigen Leiden des Menschen. Oder wie es Patricia Kopatchinskaja recht pathetisch im Begleitheft ausdrückt: Es geht um Blut und Tränen gequälter Seelen. Und darum, ihnen eine Stimme zu geben.

Ein finsterer Blick

Ergänzt durch kurze Gebete aus der jüdischen, katholischen und russisch-orthodoxen Liturgie, setzt Patricia Kopatchinskaja Violinkonzerte von Frank Martin und Karl-Amadeus Hartmann ins Zentrum ihres Albums. Keine leichte Kost, denn in dem 1934 geschriebenen Werk "Concerto funebre" greift Hartmann die Schrecken seiner Zeit auf und wirft einen finsteren Blick in Richtung des Zweiten Weltkriegs voraus. Ein Konzert, geprägt von widerspenstigem Mut und unerschütterlichem Glauben, bis zuletzt. Und die Camerata arbeitet dies mit feinem Gespür für die sakralen Zwischentöne heraus.

Kurz und bündig

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… es unvereinbar Scheinendes miteinander vereint.

Dieses Album lohnt sich, weil …
… Patricia Kopatchinskaja und die Camerata Bern wunderbar miteinander harmonieren.

Dieses Album hört man am besten bei ...
… stimmungsvollem Kerzenlicht.

Musikalische Passionsgeschichte

Im Violinkonzert des Frank Martin geht es dagegen um den Leidensweg Christi: "Polyptyque" betitelte der Schweizer Komponist sein Werk, das er kurz vor seinem Tod für den Geiger Yehudi Menuhin schrieb. Inspiriert von sechs Bildern des italienischen Malers Duccio di Buoninsegna, wird hier die Passionsgeschichte vertont. Packend und fordernd spielen Patricia Kopathinskaja und die Camerata Bern dieses unglaublich fesselnde Werk, sodass es den Hörer ganz einnimmt.

Energische Eindringlichkeit

Durchbrochen werden die sechs Sätze des Violinkonzerts durch Musik von Lubos Fiser und Bearbeitungen von Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion": Nicht nur konzeptionell, sondern vor allem musikalisch funktioniert das fantastisch. Die energische Eindringlichkeit in Patricia Kopatchinskajas brillantem, klaren Klang verbindet die Stücke über die Epochen hinweg, wodurch die Dramatik in Frank Martins "Polyptyque" durch den kathartischen Kontrast zu Bach sogar noch verstärkt wird.

Neue und originelle Perspektiven

Über 600 Jahre erstreckt sich das Repertoire, auf das Patricia Kopatchinskaja auf "Time and Eternity" zurückgreift. Ein weiter Spagat, der sich in seiner Konzeption zwar nicht bis ins Letzte erschließt, doch immer wieder neue, originelle Perspektiven eröffnet. Mit technischer Perfektion und der Balance aus Pathos und Demut in ihrem Spiel, gelingt es Patricia Kopatchinskaja meisterhaft die innere Zerrissenheit in den Werken zum Ausdruck zu bringen. Eindrucksvoll kombiniert die Geigerin auf ihrer ersten CD-Einspielung mit der Camerata Bern diese extremen Emotionen mit musikalischer Abenteuerlust. Und Man darf gespannt sein, was sie diesem Album noch folgen lässt.

"Time and Eternity"

John Zorn:
"
Kol Nidre" für Violine und Orchester
Guillaume de Machaut:
Kyrie aus der "Messe de Nostre Dame"
Karl Amadeus Hartmann:
"Concerto funebre" für Violine und Streicher
Frank Martin:
"Polyptyque" für Violine und zwei Streichorchester
Johann Sebastian Bach:
Choral-Transkriptionen
u.a.

Patricia Kopatchinkaja (Violine)
Camerata Bern

Label: Alpha Classics

Sendung: "Piazza" am 28. September 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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