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Album der Woche – Alina Ibragimova spielt Schostakowitsch Die beiden Violinkonzerte

Im nächsten Jahr wird er Chefdirigent an der Bayerischen Staatsoper: der russische Dirigent Vladimir Jurowski. Mit seinem anderen Orchester, dem Staatlichen Akademischen Symphonieorchester von Russland, hat er nun zwei Hauptwerke von Dmitrij Schostakowitsch eingespielt: die beiden Violinkonzerte. Solistin ist die britisch-russische Geigerin Alina Ibragimova. Und die macht ihre Sache ganz ausgezeichnet!

CD-Cover: Alina Ibragimova spielt Schostakowitsch – Violinkonzerte Nr. 1 & 2 | Bildquelle: Hyperion

Bildquelle: Hyperion

Der CD-Tipp zum Anhören

Dmitrij Schostakowitsch gilt als Meister der Masken, der Verstellung, der Ironie. Und es stimmt ja auch: Oft klingt seine Musik grotesk, überdreht, satirisch. Sarkasmus lag ihm, entsprach seiner Persönlichkeit. Außerdem ist die Liebe zur Groteske fest verwurzelt in der russischen Kultur. Doch Schostakowitschs Faible für Eulenspiegelei hatte natürlich auch ganz handfest politische Gründe. In der sowjetischen Diktatur, zumal unter Stalins Terrorregime, war er wie viele andere Künstler zu doppelbödigen Botschaften schlicht gezwungen. Die Wahrheit unverschlüsselt auszusprechen, wäre lebensgefährlich gewesen.

Traurig und schön

Aber es gibt noch einen anderen Schostakowitsch. Es gibt auch Momente, ja ganze Sätze, in denen er die Maske herunternimmt. In denen er sich zeigt, seine wahren Gefühle offenbart. Oft zart und berührend, oft auch rückhaltlos und extrem – so wie Gefühle uns auch im wirklichen Leben überwältigen: buchstäblich zum Heulen traurig. Und deshalb unglaublich schön. So ein Moment der Wahrheit ist der langsame Satz aus dem Ersten Violinkonzert.

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt, weil…
… man darauf erstmals die Urfassung vom letzten Satz des 1. Violinkonzerts hört.

Dieses Album wird lieben, wer…

… sich von wilder, intensiver und hochemotionaler Musik verzaubern lässt.

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil…

… Ibragimova, Jurowski und Schostakowitsch ein Dreamteam sind.

Schwindelerregend und treffsicher

Die russisch-britische Geigerin Alina Ibragimova trifft mit dieser Musik direkt ins Herz. Von Sentimentalität ist Schostakowitsch ohnehin meilenweit entfernt. Worauf es hier für die Solistin ankommt, ist – erstens – der Mut, sich zu zeigen, genauso rückhaltlos emotional wie der Komponist. Und – zweitens – dabei nicht die Kontrolle zu verlieren. Es gibt genug Geiger, die die emotionalen Extremzustände bei Schostakowitsch als willkommenes Alibi für handwerkliche Schwächen nutzen. Aber ein kratziger Bogen und eine maue Intonation machen eine Interpretation noch lange nicht authentischer. Ibragimova verbindet beides: Technische Überlegenheit und Ekstase. Im Finale, einer Burleske, spielt sie mit besinnungsloser Risikofreude und entfesselter musikantischer Energie. Schwindelerregend und treffsicher.

Ohne Verschnaufpause

Die Wahrheit auszusprechen, konnte lebensgefährlich sein in der Sowjetunion. Tatsächlich traute sich Schostakowitsch nicht, sein Erstes Violinkonzert uraufführen zu lassen, als es 1948 fertig war. Gerade hatte Stalin eine zweite Welle der Säuberungen beginnen lassen, Künstler und Intellektuelle gerieten ins Fadenkreuz, Schostakowitsch vorneweg. Seine wahren Gefühle zu zeigen, wagte er nicht in dieser Lage. Erst nach Stalins Tod wurde das Violinkonzert uraufgeführt. Und zwar in einer etwas veränderten Fassung. Denn der Geiger Igor Oistrach flehte den Komponisten an, nach der extrem schwierigen Kadenz zu Beginn des letzten Satzes eine Verschnaufpause zu bekommen. Schostakowitsch erfüllte ihm diesen Wunsch, gönnte der Sologeige eine Pause und übergab das Hauptthema ans Orchester. Alina Ibragimova traut sich nun erstmals auf CD an die mittlerweile edierte Urfassung. Und das ermöglicht einen lohnenden Vergleich: Sie kann es sich leisten.

Ein Dreamteam

Das zweite Violinkonzert ist distanzierter, aber nicht weniger tiefsinnig ist als das erste. Auch hier ist Dirigent Vladimir Jurowski ein seelenverwandter Begleiter für die Geigerin Alina Ibragimova. Mitreißend, hochemotional und durchsichtig zugleich klingt das Russische Staatliche Akademische Sinfonieorchester unter seinem Chef auf diesem Album. Nächstes Jahr wird Jurowski zusätzlich zu seinem Chefposten in Moskau neuer Bayerischer Generalmusikdirektor. Hoffentlich lädt er auch die Geigerin Alina Ibragimova nach München ein, gern mit Schostakowitsch. Die drei sind ein Dreamteam.

Alina Ibragimova spielt Schostakowitsch

Dmitrij Schostakowitsch:
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll, op. 77
Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll, op. 129

Staatliches Akademisches Symphonieorchester Russland
Leitung: Vladimir Jurowski

Label: Hyperion

Sendung: "Piazza" am 08. August 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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