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Album der Woche – Quatuor Hermès spielt Schubert Der Tod und das Mädchen

Die Musik von Franz Schubert wurde lange unterschätzt. Schubert galt als populärer Lieder-Komponist, eng verbunden mit der österreichischen Volksmusik. In den letzten Jahren hat sich der Trend umgekehrt: Die Klassikwelt stürzt sich auf die späten, extrem emotionalen, abgründigen Stücke von Schubert. Zum Beispiel das Streichquartett "Der Tod und das Mädchen". Das ist gerade in einer Neuaufnahme des jungen französischen Quatuor Hermès erschienen.

CD-Cover: Franz Schubert: Streichquartette Nr. 13 & 14 mit dem Quatuor Hermès | Bildquelle: La Dolce Volta

Bildquelle: La Dolce Volta

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In der Musik von Franz Schubert geht es oft um extreme Gefühle. Da liegt es nahe, sie auch extrem zu spielen. Extrem laut, extrem leise, irre schnell und lähmend langsam, mit neurotischem Schleudervibrato oder mit ganz fahlen, eisigen Klängen. Diese, nennen wir sie mal: extremistische Art des Spielens ist gerade in, ganz besonders, aber nicht nur bei Schubert, sondern generell in der Klassik. Und das ist erstmal durchaus zu begrüßen. Jedenfalls immer besser als unverbindliche Langeweile.

In jeder Hinsicht heftig

Denn ja, es geht etwa in einem Stück wie dem späten d-Moll-Quartett von Schubert um Leben und Tod. Mit gutem Grund hat es den Untertitel "Der Tod und das Mädchen". Im langsamen Satz schreibt Schubert Variationen über sein eigenes gleichnamiges Lied. Was da erzählt wird, ist in jeder Hinsicht heftig. Diese Musik erzählt von Gefühlen, die einen wegblasen müssen in ihrer hemmungslosen Intensität. Wenn es also im Ausdruck existenziell ans Eingemachte geht, muss es dann nicht auch in der Interpretation klirren und knirschen? Darf man das noch schön spielen? Die Antwort ist nicht so einfach.

Schubert – alles andere als harmlos

Nein, Schuberts späte Quartette, auch das sogenannte Rosamunde-Quartett, sind sicher nicht mehr "nur schön". Und das muss man in jedem Takt spüren, auch in der Spielweise. Aber das kann ganz schnell kippen. Der Extremismus kann zum Klischee erstarren und, aus übertriebener Angst vor der Langeweile, doppelt langweilig werden. Wer ständig seinem Publikum die sogenannten "ganz tiefen Gefühle" aufdrücken will, landet in der Theatralik. Ja, Schubert ist alles andere als harmlos. Aber man muss deshalb noch lange nicht aus jedem Ländlerrhythmus gleich eine Todestarantella machen.

Darum gewinnen langfristig eben doch Künstlerinnen und Künstler, die die Balance halten, über die Extremisten. Nur passiert es leicht, dass man die Ausgeglichenen übersieht, weil die Übertreibungskünstler, wie Thomas Bernhard sie nannte, naturgemäß die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Beides hat sein Recht, aber für die Ausgeglichenen muss man eben etwas mehr trommeln. Das französische Quatuor Hermès sucht seinen geradlinigen Weg fern von allen Extremen. Und vermutlich ist es auch deshalb nicht so bekannt, wie es verdient hätte. Sein neues Schubert-Album ist wunderbar natürlich. In vielem, etwa bei den Tempi oder beim Einsatz des Vibratos, wählen sie einen klug ausbalancierten Mittelweg. Und das ist in diesem wunderschönen Album genau das Gegenteil von langweilig. Gerade weil sie Maximalkontraste vermeiden, fesselt jede Schattierung. Gerade weil sie weder überzuckert noch unterkühlt spielen, treffen die Emotionen ins Herz.

Tolles Album, tolles Ensemble

Einer der wichtigsten Lehrer des Quatuor Hermès in Sachen Schubert ist der Pianist Alfred Brendel – auch so einer, der darauf vertraute, dass man nicht alles ins Extrem treiben muss. Ganz einfach, weil die Musik schon auch für sich selbst sprechen kann. Die vier Franzosen sind Anfang dreißig. Mittlerweile spielen sie bereits, mit nur wenigen Besetzungswechseln, seit dreizehn Jahren zusammen. Kein Quartett, das durch auffällige Aktionen auf sich aufmerksam macht. Einfach nur sehr, sehr gute Musikerinnen und Musiker. Denen alle technischen Möglichkeiten und alle Farben zur Verfügung stehen: Beim Quatuor Hermès klingt Schuberts Musik flüsternd, verführerisch sinnlich, atemlos gehetzt und manchmal auch selbstvergessen glücklich. Es gibt junge Quartette, die krassere Dinge machen als das Quatuor Hermès. Aber es gibt in ihrer Altersklasse nur wenig bessere. Ein tolles Album, ein tolles Ensemble.

Infos zur CD

Franz Schubert:
Streichquartett a-Moll, D "Rosamunde"

Streichquartett d-Moll, D "Der Tod und das Mädchen"

Quatuor Hermès

Label: La Dolce Volta

Sendung: "Piazza" am 23. Oktober 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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