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CD - Barbara Hannigan "Crazy Girl Crazy"

Aufgewachsen ist sie in der kanadischen Provinz - nicht unbedingt der Ort, wo man schon als Kind in Kontakt kommt mit zeitgenössischer Musik. Es sei denn, man hat eine Lehrerin, die selbst mit Ligeti und Stockhausen gearbeitet hat. So wie Barbara Hannigan. Inzwischen ist die Kanadierin Mitte 40 und weltweit als herausragende Interpretin bekannt. Eine Frau, die sich mit Haut und Haar hineinwirft in ihre Rollen - die schwerstes Repertoire angeht und zugleich keine Angst hat, auch einen Ohrwurm zu singen. tausendmal gehört, rauf- und runtergenudelt auf den Musicalbühnen dieser Welt.

CD-Cover: Barbara Hannigan - "Crazy Girl Crazy" | Bildquelle: Alpha Classics

Bildquelle: Alpha Classics

Der CD-Tipp zum Anhören

In den 30er-Jahren war es nämlich ein Megahit: das Musical "Girl Crazy" von George Gershwin. Mit Kassenschlagern wie "I Got Rhythm" erobert der Sohn aus Russland in die USA eingewanderter Eltern damals die Broadway-Bühnen dieser Welt. Lebt wie kaum ein anderer den Mythos "vom Tellerwäscher zum Millionär". Er schreibt Schlager. Und ob etwas zur Kategorie U oder E gezählt wird, das ist ihm völlig egal.

Beispiellos eigene Ausdruckskraft

Zumindest in diesem letzten Punkt tickt sie hier genauso: Barbara Hannigan. Die Sopranistin aus Kanada, die auch noch dirigiert, tanzt und schauspielert, zeigt auf ihrer neuen CD mal wieder eindrucksvoll, dass ihr kaum jemand das Wasser reichen kann. Nicht stimmlich, nicht gestalterisch. Mit einer beispiellos eigenen Ausdruckskraft. Gershwins Musical-Hit hat Barbara Hannigan zu einer Suite zusammen gerafft und neu arrangieren lassen. Immerhin das hat nicht sie, sondern der Tony Award-Preisträger Bill Elliott übernommen. Wäre ja unmenschlich, wenn sie das auch noch könnte. Herausgekommen ist eine 13-Minuten-Suite, gespickt mit Motivfetzen von Kurt Weill und Claude Vivier - und mit Material aus der "Lulu" von Alban Berg. Die in Form der Suite auch auf der CD drauf ist.

Die Lulu im Zentrum

Nichts liegt Barbara Hannigan nämlich mehr am Herzen als die Lulu. Längst ist ihr diese Figur in Fleisch und Blut übergegangen. Erst kürzlich hat das Fachmagazin "Opernwelt" sie zur Inszenierung des Jahres gekürt: Christoph Marthalers "Lulu" an der Staatsoper Hamburg. Die Lulu steht für Barbara Hannigan im Zentrum. Im Zentrum ihres Schaffens, irgendwie ihres gesamten Lebens, und im Zentrum dieser CD "Crazy Girl Crazy". Neben den Werken von Berg und Gershwin ist darauf auch noch Luciano Berios "Sequenza III" zu hören. Ein verdammt schweres Stück. Radikal. Radikal anders. Und auch da, und zwar im Text, findet die Sopranistin, wie sollte es anders sein, die Lulu. Deren Blut fließe durch alle drei Werke, schreibt Hannigan fast ein bisschen pathetisch im Booklet.

Das Hysterische, das Bizarre, das Schizophrene

Die "Lulu" hat Barbara Hannigan zu der gemacht, die sie heute ist. Ohne sie hätte sie wohl nie angefangen zu dirigieren. Beides, singen und dirigieren, beherrscht Hannigan längst makellos, und ist zugleich weit davon entfernt, makellos-langweilige Musik zu machen. Die neue CD hat sie zusammen mit dem Ludwig Orchester aufgenommen, einem freien niederländischen Ensemble, das unter Hannigans Leitung glänzend musiziert und ihrer Stimme den nötigen Raum lässt. Für das Hysterische, Bizarre, das Schizophrene, das niemand in seinen Zwischentönen so treffend einzufangen vermag wie Barbara Hannigan.

Widerstände spornen an

Das Riskante schreckt sie nicht, im Gegenteil, es fordert sie heraus. Für Barbara Hannigan sind Ängste dazu da, überwunden zu werden. Das Plattenlabel möchte die CD lieber mit Gershwin aufmachen als mit dem sperrigen Berio? Nicht mit Barbara Hannigan. Widerstände spornen sie an. Auch die der Leute, die diese CD nach den ersten paar Takten am liebsten gleich wieder ausmachen würden. Die Berios "Sequenza" unzugänglich finden. Selbst schuld, winkt Barbara Hannigan da nur ab. Und sie hat Recht, denn wenn man "Crazy Girl Crazy" bis zum Ende durchgehört hat, wenn man angelangt ist beim fulminanten Gershwin-Schluss, dann weiß man: Diese CD hat noch gefehlt.

Barbara Hannigan - "Crazy Girl Crazy"

Alban Berg:
Symphonische Stücke aus der Oper "Lulu"
George Gershwin:
Suite aus "Girl Crazy" (arr. Barbara Hannigan & Bill Elliott)
Luciano Berio:
Sequenza III

Orchestra Ludwig
Sopran und Leitung: Barbara Hannigan

Label: Alpha Classics

Sendung: "Leporello" am 16. Oktober 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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