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CD - Sergiu Celibidache dirigiert Werke von Schubert und Dvořák

Als ich Anfang der 90er Jahre nach München kam, hatte unter Klassikfans die Frage "Und, wie findest Du Celi?" eine ähnliche Bedeutung wie unter Fußballfans die Alternative Bayern oder Sechz‘ger. Sergiu Celibidache polarisierte. Es gab Verehrer und Verächter und wenig dazwischen. Celibidaches legendär langsame Tempi hätten gereicht, um das Publikum zu entzweien.

CD-Cover Sergiu Celibidache dirigiert die Münchner Philharmoniker - Schubert, Dvorak | Bildquelle: MPhil

Bildquelle: MPhil

Der CD-Tipp zum Anhören

Doch es kam eine Menge dazu: seine wolkige Musikphilosophie, seine machohafte Selbstinszenierung als allwissender Guru und seine wenig souveränen Schimpftiraden über berühmte Kollegen, die er wahlweise als  "Nichtskönner", "mediokres Ohr" oder "völlig unbegabt" abkanzelte.

Zeitlupenhafte Tempi

Ich erinnere mich, dass ich aus vielen Konzerten - man war heilfroh, wenn man eine Karte ergatterte - ziemlich ratlos herausging. Celi nahm oft so zeitlupenhaft langsame Tempi, dass man das Stück kaum wiedererkannte. Für meine Ohren klang das manchmal grotesk zerdehnt. Trotzdem ging eine Faszination von ihm aus. Bei Celibidache gab es keine Sekunde Routine. In jeder Note war spürbar, dass hier eine unglaublich starke Persönlichkeit in qualvoll langen Proben nach etwas gesucht hatte. Und Celi suchte nicht nur, er förderte Dinge zutage, von denen andere Dirigenten nicht einmal zu träumen wagten. Was konnte man da nicht alles hören!

Und jetzt, beim Hören dieser Archivveröffentlichung, geht es mir wieder so. In Schuberts "Unvollendeter" etwa. Den ersten Satz nimmt Celibidache angenehm flüssig: Wie sich da die Bögen öffnen und schließen, wie die Mittelstimmen hervortreten, wie jedes Detail lebt und doch im großen Atem aufgehoben ist - das ist, bei aller Celi-Skepsis, einfach toll.

Unmittelbar aus dem Augenblick

Dem langsamen Satz fehlt dann tatsächlich der Puls. Schubert braucht eine gewisse Motorik, innere Unrast, Groove - egal wie man’s nennt: Diese Musik will einfach nicht stehenbleiben. Noch krasser ist das Missverständnis im langsamen Satz aus Dvořáks "Symphonie aus der Neuen Welt". Die Bläser-Akkorde klingen feierlicher als in einem Bruckner-Adagio, und die berühmte Englischhorn-Melodie verliert sich in mysteriösen Ewigkeiten. Celibidache schlägt stellenweise knapp doppelt so langsam wie von Dvořák angegeben. Aber fixe Metronomangaben hielt Celi ohnehin für "Idiotie". Da ist natürlich was dran. Trotzdem stört es mich, wenn eine gefühlvolle Melodie, die gerade wegen ihrer Einfachheit so berührend ist, zu einer Art jenseitigen Offenbarung stilisiert wird. Und doch ist es interessant, was Celi aus ihr rausholt. Denn spannungslos sind seine langsamen Tempi nie, und die vielen feinen Unregelmäßigkeiten sind wirklich inspiriert und unmittelbar aus dem Augenblick empfunden.

Da ist es wieder, das alte Celi-Gefühl: Man schüttelt oft den Kopf, man ärgert sich über manches, man ist stellenweise verblüfft und dann wieder berührt und begeistert. Gleichgültig bleibt man nie, und man hört immer hin, anders geht es nicht.

Sergiu Celibidache dirigiert Schubert und Dvořák

Franz Schubert:
Symphonie Nr. 8 h-Moll, "Unvollendete"
Antonín Dvořák:
Symphonie Nr. 9 e-Moll "Aus der Neuen Welt"

Münchner Philharmoniker
Leitung: Sergiu Celibidache

Label: MPhil

Sendung: "Piazza" am 01. Juli 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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